Streitkräfte und Strategien - NDR info
27. Dezember 2003


Der angestrebte Verkauf der Hanauer Plutonium-Fabrik nach China - Nur ein wirtschaftliches oder auch ein sicherheitspolitisches Problem?

Otfried Nassauer

Es geschah im fernen Reich der Mitte. Gerhard Schröder trat mit beiden Füßen mitten ins heimische, politische Fettnäpfchen. Der Kanzler, so erfuhr eine staunende Öffentlichkeit daheim, habe China zugesagt, sich für ein Ende der EU-Rüstungssanktionen einzusetzen. Zudem könne Peking die in Deutschland nie in Betrieb gegangene Hanauer MOX-Fabrik der Firma Siemens erhalten. Sie verarbeitet Uran und Plutonium zu Mischoxid-Brennelementen. Mit dieser Anlage können Brennelemente für Leichtwasserreaktoren, aber auch solche für Schnelle Brüter oder gar militärische Plutoniumproduktionsreaktoren hergestellt werden. Schnelle Brüter können nicht nur genutzt werden, um Energie zu erzeugen, sondern auch dazu, mehr Plutonium zu erbrüten, das nach Wiederaufarbeitung für Atomwaffen genutzt werden kann. Kaum war die Nachricht durchgesickert, entbrannte in des Kanzlers Heimat heftiger Streit.

Der grüne Koalitionspartner opponierte. Betreibe man nicht zuhause den Ausstieg aus der Nukleartechnik? Sei nicht bekannt, dass China möglicherweise sein atomares Potential ausbauen wolle? Sei es nicht China gewesen, das mitgeholfen habe, dass Pakistan Atommacht geworden sei? Alle rechtlichen Mittel – so die Bündnis-Grünen – gelte es zu nutzen, um den Export zu verhindern. Und wenn dies nicht gehe, so müsse er zumindest an Bedingungen geknüpft werden, die eine militärische Nutzung der Anlage gesichert ausschließen.

Letzteres ist kaum möglich. Denn Kontrollen, mit denen die Internationale Atomenergiebehörde die militärische Weiterverwendung der Produkte der Fabrik wirklich gesichert ausschließen könnte, sind erstens praktisch kaum möglich, wären zweitens freiwilliger Natur und drittens kann Peking seine Zustimmung dazu jederzeit zurückziehen.

Soviel ist dagegen sicher: China baut die Nutzung der Nuklearenergie rasch aus. Es muss einen stark wachsenden Energiebedarf decken. Das Nuklearprogramm zielt auf einen geschlossenen Brennstoffkreislauf und den schnellstmöglichen Einstieg in die Brütertechnologie. China besitzt nicht genügend Uran, um auf die Wiederverwertung abgebrannter Brennelemente zu verzichten. Auch bei den Brütern soll es schnell gehen. 2005 soll ein erster Versuchsreaktor in Dienst gestellt werden. Bis 2015 soll ein zweiter, größerer folgen. Bis 2025 sollen erste große kommerzielle Anlagen entstehen. Dazu passt als Indiz: Peking bemühte sich auch, den nuklearen Kern des Schnellen Brüters in Kalkar zu erwerben. Brennelemente, die 1,6 Tonnen Plutonium enthalten. Dies lehnte das Umweltministerium ab.

Aber auch das ist sicher: Unter den etablierten Nuklearmächten verfügt China über die kleinsten Vorräte an Waffenplutonium. Maximal 2-6 Tonnen, so schätzen Experten, wurden in China bis Anfang oder Mitte der neunziger Jahre hergestellt. Ein großer Teil dürfte zum Atomwaffenbau verwendet worden sein. Maximal 400 - 450 Waffen soll China besitzen. Wahrscheinlich sind es weniger. Denn – nimmt man die theoretisch kritische Menge, die die Atomenergiebehörde IAEO für den Waffenbau zugrundelegt – nämlich 8 Kilogramm Plutonium als Grundlage, dann wäre der chinesische Vorrat schnell aufgebraucht, wenn China begänne, sein Arsenal zu erweitern. Dies aber ist nicht ausgeschlossen. China sieht die Funktionsfähigkeit seiner nuklearen Minimalabschreckung gegen die USA gefährdet durch den Beschluss Washingtons, ein Raketenabwehrsystem aufzubauen. Peking besitzt nur sehr wenige Atomwaffen, die die USA erreichen können. Es könnte deshalb künftig ein deutlich größeres Arsenal für erforderlich halten und sich deshalb die Option offenhalten, weiteres Waffenplutonium herzustellen.

Sicher ist zudem folgendes: Die Hanauer MOX-Anlage war auf eine Jahresproduktion von 120 Tonnen MOX-Brennstoffen ausgelegt. Ein ziviler Bedarf für soviel Brennstoff ist trotz des raschen Ausbaus der Nuklearenergie in China nicht zu erkennen. Nicht zu erkennen ist auch, woher ausreichende Mengen an zivilem, separierten Plutonium für die Auslastung der Anlage in absehbarer Zeit kommen sollten. China besitzt noch keine große kommerzielle Wiederaufbereitungsanlage. Eine rein zivile Verwendung der Anlage ist daher kaum plausibel.

Doch an Kanzler Schröder und den Seinen prallt Kritik ab. Die Firma Siemens habe einen Anspruch auf Genehmigung – so sehe es das deutsche Außenwirtschaftsgesetz vor. Die MOX-Anlage sei keine Kriegswaffe und nur für solche gelte das Prinzip, dass all das verboten sei, was nicht ausdrücklich erlaubt wurde. Für alle anderen Exportgüter gelte: Erlaubt ist, was nicht explizit untersagt wurde. Verbote müssen gerichtsfest begründbar sein. Die Beweislast, dass die Anlage militärische Verwendung finden könne und solle, liegt also bei den Gegnern des Exports, so sieht es mancher Befürworter des Ausfuhrgeschäftes.

Doch so einfach ist es nicht. Schon das Außenwirtschaftsgesetz legt fest, dass Exporte verboten werden können, um die Sicherheit der Bundesrepublik und das friedliche Zusammenleben der Völker zu gewährleisten oder zu verhindern, dass die auswärtigen Beziehungen Deutschlands erheblich gestört werden. Ist dies der Fall, kann die Ausfuhr von Gegenständen beschränkt werden, die bei der Entwicklung und Erzeugung von Waffen, Munition und Kriegsgerät nützlich sind. Wenn ein militärischer Einsatz der Hanauer Anlage nicht ausgeschlossen werden kann, wäre auch zu prüfen, ob das Kriegswaffenkontrollgesetz mit seinen Paragraphen 16 und 17 nicht greift. Sicher aber muss die für Deutschland verbindliche Dual-Use Verordnung der Europäischen Union eingehalten werden, mit der - Zitat - "alle Waren, die (...) für jedwede Form der Unterstützung bei der Herstellung von Kernwaffen oder sonstigen Kernsprengkörpern verwendet werden können", erfasst werden, also auch MOX-Anlagen. Diese Verordnung schreibt u.a vor, bei Exportgenehmigungen für solche Güter den Verhaltenskodex der Union für Waffenausfuhren zu berücksichtigen. Als Kriterien werden u.a. genannt, die Menschenrechtspolitik eines Landes sowie dessen Verhalten mit Blick auf die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen. Auch das EU-Rüstungsembargo gegen China ist zu berücksichtigen. Schließlich muss beurteilt werden, ob eine solche Lieferung mit Buchstaben und Geist der deutschen Verpflichtungen aus dem nuklearen Nichtverbreitungsvertrag und den der deutschen Mitgliedschaft in internationalen Gremien in Einklang zu bringen ist, die wie die Nuclear Suppliers Group eine effiziente Nichtverbreitungspolitik sicherstellen sollen. Mit anderen Worten: Die juristische Bewertung ist das eine, die politische das andere.

Ganz gleich, ob China sich für die Hanauer Fabrik vor allem interessiert, weil es Energie erzeugen will oder weil es die Option auf mehr Atomwaffen offen halten will: Aus dem Gezerre um die MOX-Anlage lassen sich einige Schlussfolgerungen ziehen.

Erstens: Als die rot-grüne Bundesregierung wieder gewählt wurde, vereinbarte sie in ihrem Koalitionsvertrag, Außenwirtschaftsgesetz und Kriegeswaffenkontrollgesetz bei der Frage des Exports rüstungsrelevanter Technologien zu harmonisieren – entlang der schärferen Vorschriften des Kriegswaffenkontrollgesetzes. Wäre dies bereits geschehen, so hätte es der Debatte um den Hanau-Export nicht bedurft. Die Möglichkeit einer politisch begründeten Untersagung wäre gegeben gewesen.

Zweitens: Für die Bundesregierung ist eine aktive Nichtverbreitungspolitik das Aushängeschild ihrer positiven Haltung zu Abrüstung und Nichtverbreitung. Der nukleare Nichtverbreitungsvertrag verpflichtet auch die Nuklearmächte zu vollständiger atomarer Abrüstung. Dem Geist dieses Vertrages und der Glaubwürdigkeit deutscher Nichtverbreitungspolitik läuft es zuwider, wenn Deutschland Nuklearmächten hilft, ihr Nuklearpotential aufrechtzuerhalten oder zu stärken – seien es anerkannte oder inoffizielle Atommächte.

Drittens: Wäre vom Iran der Wunsch geäußert worden, die Hanauer Anlage zu kaufen, so wäre er mit größter Sicherheit untersagt worden. Schon das ist Indiz genug, dass letztlich nicht rechtliche, sondern politische Erwägungen den Ausschlag geben, wenn über solche Exportgeschäfte entschieden wird.

Und eine letzte Schlussfolgerung: In der Aufregung über den Hanau-Export ging Gerhard Schröders Zusage nahezu unter, sich für eine Aufhebung der EU-Rüstungssanktionen gegen China einzusetzen. Diese wurden beschlossen, weil Peking mit brutaler Gewalt die Studentenproteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens zerschlagen und dabei die Menschenrechte aufs Schwerste verletzt hatte. Menschenrechtsverletzungen gibt es auch noch heute. Die Sanktionen aber auch.

 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS).