Streitkräfte und Strategien - NDR info
06. September 2003


Ausverkauf deutscher Rüstungstechnologie? Wie die Bundesregierung die Waffenschmieden gegen ihren Willen schützen will

Christopher Steinmetz


Anfang 2004 soll nach den Wünschen der Bundesregierung das reformierte Außenwirtschaftsgesetz, kurz AWG, in Kraft treten. Ein entsprechender Gesetzesentwurf wird derzeit vom Wirtschaftsministerium in Kooperation mit dem Auswärtigen Amt und dem Verteidigungsministerium vorbereitet. Frühestens im Oktober soll er dem Kabinett vorgelegt werden. Im Kern geht es um das Festschreiben eines Veto-Rechts der Regierung beim Verkauf von deutschen Rüstungsunternehmen. Werden mehr als 25 Prozent der Anteile ins Ausland verkauft, so sollen diese Geschäfte genehmigungspflichtig sein. Denn es seien "wesentliche Sicherheitsinteressen" berührt. Diese Regelung soll für alle Unternehmen gelten, die im engen Sinne der Kriegswaffenliste Rüstungsgüter herstellen. Damit würde es theoretisch auch für deutsche Produktionsstandorte im Besitz ausländischer Unternehmen gelten.

Auf den ersten Blick scheint diese Initiative eine späte Antwort zu sein auf die Übernahme der Howaldtswerke-Deutsche Werft (HDW) durch die amerikanische Investmentgesellschaft One Equity Partners (OEP) im vergangenen Jahr. Damals wurde der Bundesregierung vorgeworfen, sie habe dem Verscherbeln einer der wenigen Perlen der deutschen Rüstungsindustrie tatenlos zugesehen. Die geplante Gesetzesreform könnte nun der Bundesregierung nachträglich ein Mitspracherecht beim Weiterverkauf der HDW-Anteile durch die Investmentgesellschaft OEP einräumen.

Auf den zweiten Blick ist der Reformentwurf eher ein Indiz für die wachsenden Differenzen zwischen den Rüstungskonzernen und der Regierung darüber, wie und mit welchem Ziel der Rüstungssektor konsolidiert werden sollte. Was die Regierung als Ausverkauf der deutschen Rüstungsindustrie bezeichnet, wird von den betroffenen Managern als Mittel der Unternehmenskonsolidierung oder Erschließung neuer Exportmärkte betrachtet.

Nachdem die Reformpläne der Regierung Anfang August bekannt wurden, stieg die Rüstungsindustrie auf die Barrikaden. Im wesentlichen wurden von der Rüstungslobby drei Kritikpunkte gegen ein Mitspracherecht der Bundesregierung vorgebracht:

  • Erstens: Mit der Genehmigungspflicht wird jede unternehmensinterne Umstrukturierung der transnationalen Konzerne erschwert.

  • Zweitens: Die Regelung gefährdet die Zukunft von Unternehmen, die auf ausländische Investoren angewiesen sind, um ihre Standorte in Deutschland zu erhalten.

  • Und drittens: Die Gesetzesänderung ist ein falsches Signal an andere Regierungen. Zu befürchten sind negative Folgen bei Anteilskäufen deutscher Firmen im Ausland – vor allem auf dem amerikanischen Rüstungsmarkt.

Das Fazit der Rüstungslobby: Die bisherige "restriktive Rüstungsexportpolitik" wirke bereits schon jetzt als ein Abschreckungsfaktor für ausländische Investoren. Statt den Aktienerwerb zu verhindern, solle die Bundesregierung diese Branche lieber offensiv stärken durch Erhöhung der investiven Ausgaben im Verteidigungsetat und eine bessere Interessenspolitik auf europäischer Ebene.

In gewisser Weise trifft die Rüstungslobby den wunden Punkt. Denn die Reform scheint eher ein Reförmchen zu werden. Es mutet wie eine Milchmädchenrechnung an, dass mit dem angestrebten Veto-Recht der Ausverkauf der Rüstungsindustrie aufgehalten werden kann. Außerdem scheint zwischen den beteiligten Ministerien noch erheblicher Abstimmungsbedarf über das Gesamtkonzept zu bestehen. Zwar ist die generelle Ausweitung des Veto- Rechts auf die Zulieferindustrie wieder vom Tisch. Aber über die Einbeziehung einiger Branchen, z.B. Hersteller von Verschlüsselungstechnologien, wird noch verhandelt. In den nächsten Wochen sollen zudem noch weitere Gespräche mit den Rüstungsunternehmen stattfinden.

Trotz aller Einwände: Die Gesetzesinitiative belegt zumindest ein gesteigertes staatliches Problembewusstsein für die Konsequenzen der rüstungsindustriellen Europäisierung und Globalisierung. Die politischadministrativen Entscheidungsprozesse verlagern sich zunehmend auf die multilaterale Ebene. Die Einrichtung einer Europäischen Rüstungsbeschaffungs- und Forschungsbehörde und eines einheitlichen Europäischen Rüstungsmarktes bestimmen die staatliche Tagesordnung. Ein aktuelles Beispiel ist das "Rahmenabkommen über Maßnahmen zur Erleichterung der Umstrukturierung und der Tätigkeit der Europäischen Rüstungsindustrie". Unterzeichnet wurde diese Vereinbarung von sechs Staaten: Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Schweden und Spanien. Die Länder verpflichten sich u.a. Maßnahmen zur Erleichterung der Rüstungsexporte und des Technologietransfers einzuführen. Lediglich aus Gründen der nationalen Sicherheit sollen noch rüstungsindustrielle Kernkapazitäten im eigenen Land unterhalten werden.

Damit wächst der Druck auf die Bundesregierung, überhaupt erst einmal für sich politisch und juristisch zu benennen, welche Unternehmen und Produkte unter diese Kernkapazitäten fallen und nach welchen Kriterien und auf welche Art die Bundesregierung Einfluss ausüben will. Nur so kann sie mit den Partnerstaaten bei den anstehenden Verhandlungen über die Ausführungsbestimmungen zum Rahmenabkommen auf Augenhöhe sein. Denn diese verfügen bereits über entsprechende Regelungen.

Bleibt die Bundesregierung dagegen untätig, besteht die Gefahr, dass angesichts der gegenwärtigen Dynamik des Rüstungssektors ihre Handlungsmöglichkeiten immer weiter eingeschränkt werden. Denn es könnte schnell zu folgenden Entwicklungen kommen:

  • Erstens: Die nationale Versorgungssicherheit bei der Beschaffung von Waffensystemen und den Ersatzteilen wird immer mehr gefährdet. Dies könnte bei der Vorbereitung und Durchführung von Auslandseinsätzen zu erheblichen Risken führen.

  • Zweitens reduziert sich der Einfluss auf die Entwicklung und die nachträgliche Anpassung der Waffensysteme. Die kurzfristige Produktion spezieller Systemvarianten in kleineren Stückzahlen wird sich schwieriger durchsetzen lassen.

  • Drittens minimiert sich die staatliche Kontrolle über den Verbleib von Technologien und Know-how. Der ausländische Käufer erhält Zugriff auf die Blaupausen und das Wissen der Fachkräfte. Außerdem könnte ein Wechsel der Besitzverhältnisse die Bundesregierung dazu zwingen, für die von ihr mitentwickelten und mitfinanzierten Technologien Marktpreise zu zahlen.

  • Und viertens wird eine effektive Rüstungsexportkontrolle immer schwieriger. Der grenzüberschreitende unternehmensinterne Waren- und Technologietransfer erleichtert den späteren Re-Export deutscher Rüstungskomponenten.

Die nächsten politischen Herausforderungen sind bereits am Horizont zu sehen. In den nächsten zwei Jahren werden weitere strategische Entscheidungen über die längerfristigen Besitzverhältnisse fallen. Vor der Tür steht der mögliche Verkauf der Daimler Chrysler Triebwerkstochter MTU an die amerikanische Investmentgesellschaft Carlyle Group. Die Siemens AG sucht nach einem Käufer für den 49 Prozent-Anteil an Krauss-Maffei Wegmann. Daimler Chrysler sondiert das Terrain für den Verkauf der etwa 32 Prozent Anteile am Rüstungskonzern EADS. Zwar versichern diese Konzerne, dass alle Schritte in enger Abstimmung mit der Regierung unternommen werden, doch darauf kann sich eine Regierung nur begrenzt verlassen.

Wenn man die Auffassung vertritt, dass eine verantwortungsvolle Rüstungspolitik mehr staatliches Engagement erfordert, kann der jetzige Entwurf nur ein erster Schritt sein. Notwendig ist eine umfassendere Neubestimmung der staatlich-industriellen Beziehungen in diesem Sektor. Reformiert werden müssen auch andere Bereiche der Ausfuhrgesetzgebung und die Genehmigungsverfahren für Rüstungsexporte und Technologietransfer. Mögliche Aktionsfelder wären die Vereinheitlichung der Ausfuhrlisten des Außenwirtschaftsgesetzes und des Kriegswaffenkontrollgesetzes, die Verschärfung der Endverbleibsklauseln für deutsche Rüstungskomponenten oder der Umgang mit der Vergabe von staatlichen Hermes-Krediten zur Absicherung von Rüstungsexportgeschäften.

Noch steht der Beweis also aus, dass die Bundesregierung wirklich über ein stimmiges Konzept verfügt. Gibt es dieses nicht, wird es nicht lange dauern, bis aus Brüssel die Quittung kommt. Die EU-Kommission bemüht sich seit langem - und zunehmend erfolgreicher – rüstungsindustrielle Fragen aus dem Zuständigkeitsbereich der Staaten, der in Art. 296 des EU-Vertrages festgeschrieben wurde, herauszulösen. Der jetzige Regierungsvorschlag läuft dagegen auf die rechtliche Festschreibung eines Sonderstatus für den Rüstungssektor hinaus. Die Bundesregierung sollte dafür gewappnet sein, dass die Gesetzesreform von der Rüstungsindustrie und der EU-Kommission zu einem Testfall für die zukünftigen Grenzen des rüstungspolitischen Handlungsspielraums der Staaten innerhalb der EU gemacht werden wird. Bei der jetzt angestrebten Reform des Außenwirtschaftsgesetzes allein darf es nicht bleiben.

   ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei BITS.