Abschied von der restriktiven Rüstungsexportpolitik?
Der Koalitionsvertrag und seine Folgen
von Otfried Nassauer
Jahr für Jahr das gleiche Bild. Die Bundesregierung ist zwar verpflichtet,
zeitnah und transparent über ihre Rüstungsexportpolitik des
Vorjahres zu berichten. Aber sie lässt sich Zeit. Die Regierung lässt
den Bundestag und die Öffentlichkeit warten. Wurden die Rüstungsexportberichte
in den vergangenen Jahren noch rasch unter den Weihnachtsbaum gelegt,
so wird es in diesem Jahr wohl noch später oder gar nichts mehr.
Deutlicher kann eine Regierung ihre Missachtung des Transparenzgebotes,
des Parlamentes und des Souveräns kaum zum Ausdruck bringen.
Dass es auch anders gehen könnte, beweist die Bundesregierung im
Umgang mit anderen Regierungen: Termingerecht liefert sie ihre Daten an
die Vereinten Nationen, die OSZE und an die Europäische Union. Die
EU stellt immer im Herbst aus den Informationen ihrer Mitgliedstaaten
einen europäischen Rüstungsexportbericht zusammen.
Der Eindruck der Missachtung des Transparenzgebotes drängt sich auch
auf, wenn man einmal näher die Art und Weise betrachtet, wie die
Bundesregierung über ihre Rüstungsexportpolitik berichtet: Möglichst
nichtssagend und möglichst wenig aussagekräftig. Informiert
wird über erteilte Exportgenehmigungen, teils im Detail, teils summarisch.
Nicht berichtet wird dagegen über die tatsächlichen Ausfuhren
deutscher Rüstungsgüter. Hier beschränkt sich die Bundesregierung
auf Angaben über Kriegswaffenexporte - also den deutlich kleineren
Teil der deutschen Rüstungsexporte. Kriegswaffen sind beispielweise
U-Boote und Panzer. Die meisten Komponenten, Zulieferungen und technischen
Unterlagen dagegen werden als Rüstungsgüter bezeichnet. Auf
Kriegswaffen finden das Kriegswaffenkontrollgesetz und das Außenwirtschaftsgesetz
Anwendung, auf Rüstungsgüter nur das Außenwirtschaftsgesetz.
Leben muss mit dieser mangelnden Transparenz die Gemeinsame Konferenz
Kirche und Entwicklung – GKKE. Sie begleitet seit vielen Jahren die deutsche
Rüstungsexportpolitik kritisch und konstruktiv. Sie erarbeitet einen
eigenen Rüstungsexportbericht. Jedes Jahr pünktlich im Dezember
wird er vorgelegt. Doch Jahr für Jahr fehlt den Experten das wichtigste
Dokument, mit dem sie sich kritisch auseinandersetzen sollen: Der aktuelle
Rüstungsexportbericht der Bundesregierung. Das ist unbefriedigend.
Und es wirft die Frage auf, ob die Bundesregierung möglicherweise
absichtlich so spät berichtet, um zu demonstrieren, dass sie gar
kein Interesse daran hat, dass die deutsche Rüstungsexportpolitik
kritisch hinterfragt wird.
Der Rüstungsexportbericht der GKKE fußt auch in diesem Jahr
auf den Zahlen, die die Bundesregierung der EU und den Vereinten Nationen
übermittelt hat. Der Report zeigt auf, dass die Bundesregierung 2008
Einzelgenehmigungen für Rüstungsexporte im Wert von fast 5,8
Milliarden Euro erteilt hat - ein Plus von 36,5 Prozent im Vergleich zum
Vorjahr und ein historischer Rekordwert. Nur weil es zugleich ein Minus
von 50 Prozent bei den sogenannten Sammelausfuhrgenehmigungen gegeben
hat, ist der Gesamtwert der genehmigten Exporte im Vergleich zum Vorjahr
nicht gestiegen. Zu den Sammelausfuhrgenehmigungen kommt es meist dann,
wenn Rüstungsgüter gemeinsam von mehreren Ländern produziert
werden. Mit über acht Milliarden Euro gehört die Bundesrepublik
weiter zu den größten Rüstungsexportnationen der Welt.
Kritisch heben die Kirchen in ihrem Bericht hervor, dass erneut Genehmigungen
für das Bürgerkriegsland Pakistan erteilt wurden, dass Tausende
Handfeuerwaffen in das instabile Mexiko geliefert wurden und dass die
Genehmigungswerte für Kleinwaffen, Munition und deren Herstellungsanlagen
insgesamt weiter gestiegen sind.
Mehr als 2.500 Exportlizenzen im Wert von mehr als einer Milliarde Euro
seien für Länder erteilt worden, die nach den Kriterien der
EU als problematisch einzustufen sind. Darunter sind 41 Staaten, deren
Menschrechtssituation prekär ist und 24 Länder, in denen es
schwere gewaltsame Konflikte gibt. Bei der Vorstellung des Rüstungsberichts
der Kirchen in der vergangenen Woche zeigte sich Prälat Jüsten
besorgt:
O-Ton Prälat Jüsten
„Wer regionalen Rüstungsspiralen im Nahen und Mittleren Osten,
in Süd- und Südostasien und im südlichen Amerika entgegentreten
will, sollte mit Rüstungsgeschäften nicht noch deren Dynamik
antreiben.“
Die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung hat deshalb die Bundesregierung
aufgefordert, die Exportkontrolle zu stärken und die Mitwirkungsrechte
des Bundestages bei Rüstungsexportentscheidungen zu verbessern.
Das genehmigte Exportvolumen ist in den Jahren der Großen Koalition
deutlich angewachsen. Die wehrtechnische Industrie kann sich über
die Genehmigungspraxis der Bundesregierung und über deren Unterstützung
für deutsche Exportvorhaben nicht beschweren. Und doch hat sich die
neue Bundesregierung auf diesem Politikfeld viel vorgenommen. Der Koalitionsvertrag
von CDU/CSU und FDP will zwar weiter an den unter Rot-Grün 2001 vereinbarten
restriktiven politischen Richtlinien für den Rüstungsexport
festhalten. Diese lassen jedoch genug Spielraum für exportfördernde
Interpretationen. An anderer Stelle will die neue Bundesregierung deutliche
Akzente setzen. In ihrem Koalitionsvertrag halten CDU/CSU und FDP fest:
Zitat
„Das Außenwirtschaftsrecht und [die] Außenwirtschaftsverordnung
werden entschlackt und übersichtlicher ausgestaltet. Es werden
Vorschriften gestrichen, die deutsche Exporteure gegenüber ihren
europäischen Konkurrenten benachteiligen. Bei der Anwendung des
Außenwirtschaftsrechts muss der internationalen Wettbewerbssituation
der deutschen Wirtschaft mehr als bisher Rechnung getragen werden. (....)
Es bleibt bei der verantwortungsvollen Genehmigungspolitik für
die Ausfuhr von Rüstungsgütern. Um faire Wettbewerbsbedingungen
für die deutsche Wirtschaft zu gewährleisten, wird eine Harmonisierung
mit der Genehmigungspolitik der anderen EU-Staaten auf hohem Niveau
angestrebt. Auch beim Export von Dual-Use-Gütern [- also Gütern,
die zivil und militärisch genutzt werden können -] wird die
deutsche Genehmigungspraxis in diesem Sinne angeglichen.“
Die Akzente, die die neue Bundesregierung setzen will, sind deutlich
erkennbar: Die Wettbewerbsnachteile der deutschen Industrie gegenüber
europäischen Konkurrenten sollen abgebaut werden. Der im vergangenen
Jahr rechtlich verbindlich gewordene europäische Verhaltenskodex
für Rüstungsausfuhren soll zum Anlass genommen werden, die bislang
in Teilen restriktivere deutsche Rüstungsexportpolitik an das weniger
zurückhaltende Niveau anderer europäischer Staaten anzugleichen.
Das Ziel, mit dem EU-Kodex europaweit zu einer restriktiven Rüstungsexportpolitik
zu kommen, soll in Deutschland das Gegenteil bewirken: Geringere Beschränkungen
für Rüstungsexporte. Der Außenwirtschaftsförderung
wird künftig wieder Vorrang vor der Exportkontrolle eingeräumt.
Gelten soll dieser Ansatz für die beiden umsatzstärksten Bereiche
des deutschen Rüstungsexports: Für reine Rüstungsgüter
und sogenannte Dual-Use-Waren.
Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass im Koalitionsvertrag
von einer „verantwortungsvollen Genehmigungspolitik“ gesprochen wird,
und nicht mehr von einer „restriktiven“ Genehmigungspraxis. Inhaltliche
und politische Kriterien als Voraussetzung für Exportgenehmigungen
wie die Menschenrechts- oder Konfliktlage im Empfängerland finden
keine Erwähnung. Als Ziel wird allein der freie Markt mit gleichen
Wettbewerbsbedingungen genannt, also das freie Spiel der Kräfte.
Setzt die neue Bundesregierung um, was sie in ihrem Koalitionsvertrag
formuliert hat, so wird der Rüstungsexport aus Deutschland deutlich
liberalisiert. Lässt die Finanzlage der potenziellen Empfängerländer
es zu, so wird die Ausfuhr deutlich wachsen. Ob sich dieser Anstieg allerdings
auch in den Statistiken über den deutschen Rüstungsexport niederschlagen
wird, ist ungewiss. Denn 2008 hat die Europäische Union auch eine
sogenannte Verbringungsrichtlinie für militärische Güter
in Kraft gesetzt, mit der der Rüstungshandel innerhalb der Gemeinschaft
deutlich vereinfacht und erleichtert werden soll.
Ein Weg, um dieses Ziel zu erreichen, sind sogenannte Allgemeingenehmigungen.
Die EU-Staaten können den Export von Rüstungsgütern in
andere EU-Länder unabhängig vom Einzelfall und im Voraus genehmigen.
Ein Antrag der Industrie ist dann nicht mehr nötig. Die Rüstungsunternehmen
müssen nur noch im Nachhinein für die Außenhandelsstatistik
mitteilen, in welchem Umfang sie Güter wirklich exportiert haben.
Die deutsche Rüstungsexportstatistik kann auf diesem Weg geschönt
werden. Je mehr Allgemeingenehmigungen erteilt werden, desto weniger einzelne
Rüstungsexportanträge müssen genehmigt werden. Die Folge:
Der Anteil der deutschen Rüstungsexporte, über den die Bundesregierung
das Parlament und die Öffentlichkeit in ihrem Jahresbericht informiert
wird auf diese Weise geringer. Damit aber bleibt die notwendige Transparenz
bei der Ausfuhr von Waffen auf der Strecke.
ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für
Transatlantische Sicherheit - BITS
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