Streitkräfte und Strategien - NDR info
25. Juli 2009


Leasen statt kaufen

Warum die Luftwaffe für Afghanistan nicht die eigentlich gewünschten Aufklärungsdrohnen bekommt

von Otfried Nassauer

Die Zeit drängt. Auf die schlechte Sicherheitslage in Afghanistan will die Bundeswehr mit neuen Aufklärungsdrohnen antworten. Deutsche Patrouillen um Kunduz oder Faisabad sollen schon im Voraus wissen, wo Aufständische im Hinterhalt lauern könnten. Die Informationen sollen durch Drohnen gewonnen werden, die aus rund zehntausend Metern Höhe ihre Bilder und Daten zur Erde funken. Militär-Experten sprechen von SAATEG – SAATEG steht für „System Abbildender Aufklärung in der Tiefe des Einsatzgebietes“. Das Verteidigungsministerium hat das Vorhaben kürzlich zum einsatzbedingten Sofortbedarf erklärt. Es will noch in der Sommerpause einen Vertrag aushandeln, damit die Drohnen ab Anfang 2010 zur Verfügung stehen. Diese Entscheidung beinhaltet gleich mehrere Überraschungen.

Erstens will die Bundeswehr die neuen Aufklärungsdrohnen nicht kaufen, sondern leasen. Richtig gehört: Leasen - wie ein neues Auto, für dessen Kauf nicht genug Geld da ist. Etwas mehr als 100 Millionen Euro soll die Miete für zunächst drei Jahre kosten. Für diese Summe wollte die Bundeswehr ursprünglich Drohnen kaufen.

Deshalb wurde zweitens die geplante Beschaffung bundeswehreigener Aufklärungsdrohnen auf unbestimmte Zeit vertagt. In die Anforderungen für künftige Drohnen sollen die Erfahrungen einfließen, die man mit den geliehenen Systemen macht. Berücksichtigt werden sollen dann auch die Ergebnisse einer aktuellen Studie über ein neu zu entwickelndes Drohnensystem, die der europäische Luft- und Raumfahrtriese EADS im Mai abgeliefert hat.

Drittens entschloss sich der verantwortliche Rüstungsstaatssekretär, Rüdiger Wolf, kurzfristig zu einer 180-Grad-Wende. Das Verteidigungsministerium hatte zuvor einhellig die amerikanische Drohne des Typs Predator B bzw. Reaper favorisiert. Für dieses System war das wirtschaftlich günstigste und technisch leistungsfähigste Leasing-Angebot vorgelegt worden. Nach den Regeln der Bundeshaushaltsordnung hätte es eigentlich den Zuschlag bekommen müssen. Doch es kam anders. Die Bundeswehr least nun die leistungsschwächeren Drohnen des israelischen Typs Heron 1. Wolfs überraschender Sinneswandel erfolgte nach einem Gespräch mit den Berichterstattern der Regierungsfraktionen im Haushaltsausschuss. Der Bonner Militärexperte und Blogger Michael Forster von geopowers.com meint, dass der SPD-Abgeordnete Johannes Kahrs, den Sinneswandel erzwungen hat:

O-Ton Forster:
„Also nach meinem Kenntnisstand ist es so gewesen - und das ist mir mehrfach bestätigt worden von verschiedenen Quellen -, dass der SPD-Abgeordnete Kahrs, der im Haushaltsausschuss der Berichterstatter der SPD für Verteidigungsfragen ist, dass der mit Nachdruck für Heron 1 eingetreten ist und dem Staatssekretär Wolf gedroht hat, dass er bei der Frage der Eurofighter-Tranche 3a nicht zustimmen werde. Und das war natürlich ein immenses Druckmittel und daraufhin ist die Vorlage umgeschrieben worden.“

Kahrs ist nicht unumstritten. In den Jahren 2004 und 2005 soll er von Rheinmetall, dem deutschen Anbieter der israelischen Heron-Drohnen, eine fünfstellige Summe für seinen SPD-Unterbezirk als Spende erhalten haben. Das berichteten übereinstimmend mehrere große Zeitungen.
Staatssekretär Wolf erklärte seinen plötzlichen Sinneswandel ganz anders: Der rechtzeitige Einsatz des Predator B sei nicht gesichert. In diesen Drohnen stecke amerikanische Technologie, deren Export eine Genehmigung der US-Regierung und die Befassung durch den US-Kongress erfordere. Bei Heron 1 dagegen gebe es dieses Problem nicht. Wolfs Geheimnis bleibt allerdings, warum dieses wichtige Argument für ihn nicht schon bei Positionsbestimmung des Ministeriums ausschlaggebend war.

Die Luftwaffe nahm Wolfs Entscheidung mit hörbarem Zähneknirschen auf. Luftwaffeninspekteur Klaus-Peter Stieglitz im vergangenen Monat auf NDR Info:

O-Ton Stieglitz:
„Ja es ist richtig, die Luftwaffe hat ein anderes Gerät bevorzugt und tut es eigentlich heute noch. Nun ist es anders gekommen. Wir werden das so akzeptieren und versuchen, mit dem anderen Gerät so schnell wie möglich in den Einsatz zu kommen.“

Die Luftwaffe favorisierte das US-System Predator B bereits, als die Bundeswehr noch eigene Drohnen kaufen wollte. Vielleicht auch, weil sich die aktuelle Version, Reaper, nicht nur zur Aufklärung nutzen lässt. Die Drohne kann man bei Bedarf auch mit Raketen bewaffnen, um Ziele am Boden zu bekämpfen. Damals konkurrierte sie mit der Heron TP, einem leistungsfähigeren Nachfolger der Heron 1.

„Den Soldaten im Einsatz das Beste.“ So lautet ein gerne benutztes Diktum. Im Fall der neuen Aufklärungsdrohnen fand es keine Anwendung. Die Heron 1 ist dem Predator B nicht ebenbürtig. Ihr Leistungs- und Einsatzspektrum ist geringer. Sie hat bislang kein Aufklärungsradar an Bord und kann somit bei schlechtem Wetter auch nur schlecht aufklären.

Noch einmal der Rüstungsexperte Michael Forster:

O-Ton Forster:
„Das israelische System Heron 1 ist eine Generation älter als das amerikanische Predator B-System. Das ist also eine Generationszeit von - ich würde sagen - mindestens 5 Jahren... Allein von daher wäre der Predator B natürlich besser.“

Die Bundeswehrsoldaten in Afghanistan müssen also in den kommenden Jahren mit der zweitbesten Lösung leben. Obwohl die bessere sogar billiger gewesen wäre.

Auch das Argument, die Predator-Drohne stehe möglicherweise nicht rechtzeitig zur Verfügung, scheint wackelig zu sein. Erst nach der Schneeschmelze im späten Frühjahr oder Frühsommer werden die Aufklärungsdrohnen für die Sicherheit der Bundeswehrsoldaten in Afghanistan wirklich wichtig. Bis dahin könnten die Genehmigungen der USA durchaus vorliegen. Denn Washington hat ein Interesse, dass die Bundeswehr ihre Aufgaben gut erfüllen kann.

Was also steckt wirklich hinter der Entscheidung, vorerst keine eigenen Drohnen für die Bundeswehr zu kaufen und stattdessen eine schlechtere Zwischenlösung zu wählen? Offizielle Aussagen gibt es dazu nicht. Nur Anhaltspunkte.

Von Staatssekretär Wolf weiß man, dass er darauf gedrängt hat, die parlamentarische Entscheidung für die Drohnen unbedingt noch in dieser Legislaturperiode zu treffen. Nach der Bundestagswahl erfolge ein Kassensturz - wegen der Auswirkungen der Finanzkrise, so ist zu hören. Mit Geld für neue Drohnen sei dann kaum noch zu rechnen.

Leben kann mit der getroffenen Entscheidung auch der europäische Rüstungskonzern EADS. Bisher haben nur die USA und Israel große leistungsfähige Drohnen entwickelt, die kurzfristig geliefert werden könnten. EADS fürchtet, für einen wachsenden Markt kein eigenes Produkt anbieten zu können. Deshalb hat der Konzern begonnen, mit Forschungsgeldern aus Frankreich, Spanien und Deutschland eigene leistungsstarke Aufklärungsdrohnen zu konzipieren. Für insgesamt 2,9 Milliarden Euro, so verspricht EADS, könne man den Bedarf der drei Länder mit einem Drohnensystem der nächsten Technologiegeneration decken. Talarion heißt das Vorhaben, das heutigen Drohnen deutlich überlegen sein soll und mit dem angeblich vieles verwirklicht werden kann, was sich die Militärs schon lange wünschen: Düsen- statt Propellerantrieb, austauschbare Zuladungspakete für unterschiedliche Missionen und anderes mehr. Stefan Zoller, Rüstungsvorstand der EADS in der FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND. Zitat:
Zitat Zoller:
„Es geht um die Weichenstellung, ob die Europäer im Zukunftsmarkt der unbemannten Flugzeuge künftig eine eigenständige Rolle spielen oder auf Modelle aus den USA und Israel angewiesen sind.“

Doch bislang hatte der EADS-Vorschlag einen Schönheitsfehler. Das Drohnensystem Talarion gibt es nur auf dem Papier. Es muss erst entwickelt werden, wird im günstigsten Fall 2013 erstmals fliegen und würde frühestens 2015 ausgeliefert. Für den sofortigen Einsatz in Afghanistan ist es also keine Alternative. Langfristig ist das EADS-Projekt Talarion dagegen industriepolitisch durchaus eine Option. So sah es im Dezember auch Christian Schmidt, der Parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium. Zitat:

Zitat Schmidt:
„Das Advanced UAV stellt, neben anderen, ein mögliches System für die erforderliche Zielausstattung dar. Die Zielausstattung soll geeignet sein, den Anforderungen sehr umfänglich gerecht zu werden. (...) Da die mit der Anfangsausstattung gewonnen Erfahrungen in den Auswahlprozess der Zielausstattung mit einfließen sollen, ist eine Beschaffungsentscheidung zum Advanced UAV nicht zeitnah zu erwarten.“

Auf lange Sicht darf sich EADS also über das Leasingmodell freuen. Denn die Messlatte, die die Bundeswehr nach den Einsatz-Erfahrungen mit der Heron 1 auflegen wird, dürfte deutlich niedriger sein als wenn sich das Verteidigungsministerium für das US-Modell Predator B entschieden hätte.


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS