Iranische Atomkrise - Teheraner Spaltungsversuche oder Interesse an echtem Kompromiss?
von Otfried Nassauer
Die USA schließen ein militärisches Vorgehen gegen den Iran nicht aus. Die Option, so
betonen sie immer wieder, liegt auf dem Tisch. Die Planungen sind fortgeschritten. Gebe
der Iran nicht vollständig nach, so sei man zum Handeln bereit. Aber Washington steht in
dieser Frage auch unter Druck. Israel fordert ein baldiges Handeln und droht mit einem
militärischen Alleingang. Würde Israel losschlagen, so trüge Washington auf jeden Fall
in den Augen der islamischen Welt die Mitverantwortung. Abhalten kann Washington Israel
aber nur, indem es glaubwürdig mit der eigenen Bereitschaft zum militärischen Vorgehen
droht. Zugleich können die US-Drohungen aber auch als Mittel verstanden werden, den
diplomatischen Druck auf den Iran zu erhöhen eine Ausgangslage, in der es schwer
ist, die verbale Eskalation zu begrenzen. Dies wird auch an den iranischen Reaktionen
deutlich. Der Iran besteht nicht nur auf seinem verbrieften Recht, die Atomenergie
umfassend zivil zu nutzen. Er macht regelmäßig deutlich, dass er keinen erzwungenen
Souveränitätsverzicht hinnehmen wird. Zu Gesichtsverlust und öffentlicher Demütigung
werde er sich nicht hinreißen lassen. Man sei weiterhin vorrangig an einer diplomatischen
Lösung interessiert. Eskaliere der Westen den Streit aber weiter, so sei der Iran in der
Lage, auf erneute Eskalationsschritte zu reagieren. Wirtschaftlich im Falle von Sanktionen
und militärisch im Falle eines Angriffs. Wenn Washington unbedingt militärisch
eingreifen wolle "let the ball roll" dann rollt der Ball halt. Wie
gesagt: Eine Konstellation, in der die verbale Eskalation nur schwer zu begrenzen ist.
Doch ist die Diplomatie damit am Ende? Sie hat durchaus noch ihre Chancen.
"Kreative Diplomatie" meinte IAEO-Generaldirektor el Baradei sei jetzt
gefordert. Dass es noch Lösungen geben könnte, zeigte diese Woche: Debattiert wurde ein
Vorschlag, der zu einem Kompromiss führen könnte: Uran für den Iran soll für einen
längeren Zeitraum in einer multilateralen Urananreicherungsanlage auf russischem Boden
angereichert werden. Dafür verzichtet der Iran auf den Bau einer eigenen kommerziellen
Anreicherungsanlage. Teheran beschränkt sich auf kleinere Forschungsarbeiten zur
Anreicherung. Dafür würde ihm zugestanden, eine geringe Zahl von Zentrifugen betreiben
zu dürfen. Mit rund 20 Zentrifugen kann weder Brennstoff für Atomkraftwerke, noch
Material für Atomwaffen gewonnen werden. Damit kann der Iran lediglich seine Kenntnisse
verbessern, wie eine erfolgreiche Urananreicherung funktioniert. Ein Lösungsvorschlag,
der die iranische Atombombe sicher um Jahre vertagen, wenn nicht praktisch ausschließen
würde. Der russische Außenminister Lawrow überbrachte die Idee seiner amerikanischen
Kollegin Rice. Die Sowjetexpertin gab ihm eine im Kalten Krieg für die Sowjetunion
typische Antwort: Njet ein klares, kategorisches Nein.
Diese harte Haltung Washingtons ist leicht zu erklären. Die USA wollen und brauchen
keinen Kompromiss. Sie benötigen keine diplomatische Lösung. Sie können auf der
Erfüllung all ihrer Forderungen beharren. Der Iran soll dauerhaft auf alle
Anreicherungsaktivitäten verzichten - "Basta". Ein Kompromiss bringt die
Regierung Bush angesichts ihrer realen Ziele nicht weiter. Washington geht es nur
vordergründig um das iranische Atomprogramm. Im Kern will man einen Regierungswechsel im
Iran. Seit dort mit Mahmud Ahmadinedschad ein Hardliner Präsident ist, gilt das erst
recht. Um dem Ziel eines Regierungswechsels näher zu kommen, muss der Iran weiter
international isoliert werden, müssen Sanktionen beschlossen werden. Die weltweite Angst,
der Iran können in den Besitz von Atomwaffen kommen, stellt eine hervorragende Basis dar,
um endlich über die nationalen amerikanischen Sanktionen hinaus auch internationale
Sanktionen gegen Teheran durchzusetzen. Diese Gelegenheit wollen die USA keinesfalls
verpassen. Die meisten Partner Washingtons haben Sanktionen über viele Jahre abgelehnt.
Das iranische Atomprogramm und der offen Israel-feindliche iranische Präsident aber
präsentieren der Regierung George W. Bushs die Chance auf Sanktionen wie auf einem
Silbertablett. Schon deshalb muss aus amerikanischer Sicht jedes denkbare
Kompromiss-Modell im Atomstreit möglichst früh ausgeschlossen werden. Als sich die oben
geschilderte Möglichkeit abzeichnete, griffen hochrangige Vertreter der Regierung Bush
zum Mittel des diplomatischen Präventivschlages: UN-Botschafter Bolton kündigte an, der
UN-Sicherheitsrat werde sich schon am 9. März mit dem Iran befassen also noch vor
dem regulären Ende der IAEO-Sitzung in Wien. Bolton war es auch, der erneut einen
militärischen Angriff auf die iranischen Nuklearanlagen für möglich und machbar
erklärte.
Wenn sich der Sicherheitsrat in der kommenden Woche erstmals mit der Akte des Irans
befasst, wird das Nichtmitglied Israel weitreichende Maßnahmen fordern. Washington wird
auf das schärfstmögliche Vorgehen setzen. Die USA werden möglicherweise kurzfristig und
ultimativ fordern, der Iran müsse alle Forderungen der IAEO erfüllen. Festzuhalten sind
diese in einer Resolution oder in einer schwächeren Erklärung der
Präsidentschaft des Sicherheitsrates. Dazu können auch Forderungen gehören, zu denen
der Iran rechtlich nicht verpflichtet ist. Doch dass Washington mehr durchsetzt, ist
derzeit nicht zu erwarten. Russen und Chinesen haben kein Interesse an harten Maßnahmen
gegen Teheran. Frankreich wird nach den Erfahrungen mit Sanktionen gegen den Irak auf
genau definierte und zeitlich begrenzte Maßnahmen drängen. Washington soll keine
"Carte Blanche" ausgestellt werden. Was sich die USA zurzeit im
UN-Sicherheitsrat erhoffen können, das ist eine stufenweise Verschärfung der Gangart
gegenüber dem Iran. Während der ersten Schritte kann die Suche nach einer
Verhandlungslösung weitergehen.
Doch die Befassung des Sicherheitsrates mit dem Fall Iran birgt weit über den
aktuellen Atomstreit hinausgehende Risiken. Der Streit über das iranische Atomprogramm
ist längst zu einem Präzedenzfall geworden. An ihm wird sich entscheiden, wie das
weltweite Nichtverbreitungsregime der Zukunft aussehen wird. Wird es ein multilaterales
Regime auf Basis vertraglicher fixierter Regeln und der Stärkung des internationalen
Rechts sein? Oder wird es ein unilateral verordnetes Regime auf Basis des Rechts des
Stärkeren sein, in dem einige, wenige Staaten, letztlich darüber entscheiden, wer die
Atomenergie zivil nutzen darf und wer nicht? Diese Frage stellt sich den Mitgliedern des
UN-Sicherheitsrates in verdeckter Form, wenn sie sich mit dem Thema Iran befassen. Wenn
sie eine Resolution gegen den Iran verfassen, müssen sie z.B. entscheiden, ob sie die
Aussagen des Atomwaffensperrvertrages zum Recht auf zivile Nutzung der Kernenergie und zur
Kontrolle derselben neu interpretieren wollen. Ihre Interpretation würde in bestehendes
internationales Recht eingreifen und möglicherweise die Rechtslage verändern eine
Aufgabe, die eigentlich nur den Überprüfungskonferenzen zum Atomwaffensperrvertrag
obliegt. An diesen Konferenzen nehmen alle Mitgliedstaaten des Vertrages teil, nicht nur
jene 15 Staaten, die im Sicherheitsrat vertreten sind. Die Beratungen in diesem kleinen
Gremium kommen durch einen Trick zustande: Der Gouverneursrat der IAEO überwies die Akte
Iran nur an den Sicherheitsrat und nicht wie in den Statuten der IAEO
vorgeschrieben zugleich an die UN-Vollversammlung.
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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