Streitkräfte und Strategien - NDR info
11. März 2006


Iranische Atomkrise - Teheraner Spaltungsversuche oder Interesse an echtem Kompromiss?

von Otfried Nassauer

Die USA schließen ein militärisches Vorgehen gegen den Iran nicht aus. Die Option, so betonen sie immer wieder, liegt auf dem Tisch. Die Planungen sind fortgeschritten. Gebe der Iran nicht vollständig nach, so sei man zum Handeln bereit. Aber Washington steht in dieser Frage auch unter Druck. Israel fordert ein baldiges Handeln und droht mit einem militärischen Alleingang. Würde Israel losschlagen, so trüge Washington auf jeden Fall in den Augen der islamischen Welt die Mitverantwortung. Abhalten kann Washington Israel aber nur, indem es glaubwürdig mit der eigenen Bereitschaft zum militärischen Vorgehen droht. Zugleich können die US-Drohungen aber auch als Mittel verstanden werden, den diplomatischen Druck auf den Iran zu erhöhen – eine Ausgangslage, in der es schwer ist, die verbale Eskalation zu begrenzen. Dies wird auch an den iranischen Reaktionen deutlich. Der Iran besteht nicht nur auf seinem verbrieften Recht, die Atomenergie umfassend zivil zu nutzen. Er macht regelmäßig deutlich, dass er keinen erzwungenen Souveränitätsverzicht hinnehmen wird. Zu Gesichtsverlust und öffentlicher Demütigung werde er sich nicht hinreißen lassen. Man sei weiterhin vorrangig an einer diplomatischen Lösung interessiert. Eskaliere der Westen den Streit aber weiter, so sei der Iran in der Lage, auf erneute Eskalationsschritte zu reagieren. Wirtschaftlich im Falle von Sanktionen und militärisch im Falle eines Angriffs. Wenn Washington unbedingt militärisch eingreifen wolle – "let the ball roll" – dann rollt der Ball halt. Wie gesagt: Eine Konstellation, in der die verbale Eskalation nur schwer zu begrenzen ist.

Doch ist die Diplomatie damit am Ende? Sie hat durchaus noch ihre Chancen. "Kreative Diplomatie" meinte IAEO-Generaldirektor el Baradei sei jetzt gefordert. Dass es noch Lösungen geben könnte, zeigte diese Woche: Debattiert wurde ein Vorschlag, der zu einem Kompromiss führen könnte: Uran für den Iran soll für einen längeren Zeitraum in einer multilateralen Urananreicherungsanlage auf russischem Boden angereichert werden. Dafür verzichtet der Iran auf den Bau einer eigenen kommerziellen Anreicherungsanlage. Teheran beschränkt sich auf kleinere Forschungsarbeiten zur Anreicherung. Dafür würde ihm zugestanden, eine geringe Zahl von Zentrifugen betreiben zu dürfen. Mit rund 20 Zentrifugen kann weder Brennstoff für Atomkraftwerke, noch Material für Atomwaffen gewonnen werden. Damit kann der Iran lediglich seine Kenntnisse verbessern, wie eine erfolgreiche Urananreicherung funktioniert. Ein Lösungsvorschlag, der die iranische Atombombe sicher um Jahre vertagen, wenn nicht praktisch ausschließen würde. Der russische Außenminister Lawrow überbrachte die Idee seiner amerikanischen Kollegin Rice. Die Sowjetexpertin gab ihm eine im Kalten Krieg für die Sowjetunion typische Antwort: Njet – ein klares, kategorisches Nein.

Diese harte Haltung Washingtons ist leicht zu erklären. Die USA wollen und brauchen keinen Kompromiss. Sie benötigen keine diplomatische Lösung. Sie können auf der Erfüllung all ihrer Forderungen beharren. Der Iran soll dauerhaft auf alle Anreicherungsaktivitäten verzichten - "Basta". Ein Kompromiss bringt die Regierung Bush angesichts ihrer realen Ziele nicht weiter. Washington geht es nur vordergründig um das iranische Atomprogramm. Im Kern will man einen Regierungswechsel im Iran. Seit dort mit Mahmud Ahmadinedschad ein Hardliner Präsident ist, gilt das erst recht. Um dem Ziel eines Regierungswechsels näher zu kommen, muss der Iran weiter international isoliert werden, müssen Sanktionen beschlossen werden. Die weltweite Angst, der Iran können in den Besitz von Atomwaffen kommen, stellt eine hervorragende Basis dar, um endlich über die nationalen amerikanischen Sanktionen hinaus auch internationale Sanktionen gegen Teheran durchzusetzen. Diese Gelegenheit wollen die USA keinesfalls verpassen. Die meisten Partner Washingtons haben Sanktionen über viele Jahre abgelehnt. Das iranische Atomprogramm und der offen Israel-feindliche iranische Präsident aber präsentieren der Regierung George W. Bushs die Chance auf Sanktionen wie auf einem Silbertablett. Schon deshalb muss aus amerikanischer Sicht jedes denkbare Kompromiss-Modell im Atomstreit möglichst früh ausgeschlossen werden. Als sich die oben geschilderte Möglichkeit abzeichnete, griffen hochrangige Vertreter der Regierung Bush zum Mittel des diplomatischen Präventivschlages: UN-Botschafter Bolton kündigte an, der UN-Sicherheitsrat werde sich schon am 9. März mit dem Iran befassen – also noch vor dem regulären Ende der IAEO-Sitzung in Wien. Bolton war es auch, der erneut einen militärischen Angriff auf die iranischen Nuklearanlagen für möglich und machbar erklärte.

Wenn sich der Sicherheitsrat in der kommenden Woche erstmals mit der Akte des Irans befasst, wird das Nichtmitglied Israel weitreichende Maßnahmen fordern. Washington wird auf das schärfstmögliche Vorgehen setzen. Die USA werden möglicherweise kurzfristig und ultimativ fordern, der Iran müsse alle Forderungen der IAEO erfüllen. Festzuhalten sind diese in einer Resolution oder in einer – schwächeren – Erklärung der Präsidentschaft des Sicherheitsrates. Dazu können auch Forderungen gehören, zu denen der Iran rechtlich nicht verpflichtet ist. Doch dass Washington mehr durchsetzt, ist derzeit nicht zu erwarten. Russen und Chinesen haben kein Interesse an harten Maßnahmen gegen Teheran. Frankreich wird nach den Erfahrungen mit Sanktionen gegen den Irak auf genau definierte und zeitlich begrenzte Maßnahmen drängen. Washington soll keine "Carte Blanche" ausgestellt werden. Was sich die USA zurzeit im UN-Sicherheitsrat erhoffen können, das ist eine stufenweise Verschärfung der Gangart gegenüber dem Iran. Während der ersten Schritte kann die Suche nach einer Verhandlungslösung weitergehen.

Doch die Befassung des Sicherheitsrates mit dem Fall Iran birgt weit über den aktuellen Atomstreit hinausgehende Risiken. Der Streit über das iranische Atomprogramm ist längst zu einem Präzedenzfall geworden. An ihm wird sich entscheiden, wie das weltweite Nichtverbreitungsregime der Zukunft aussehen wird. Wird es ein multilaterales Regime auf Basis vertraglicher fixierter Regeln und der Stärkung des internationalen Rechts sein? Oder wird es ein unilateral verordnetes Regime auf Basis des Rechts des Stärkeren sein, in dem einige, wenige Staaten, letztlich darüber entscheiden, wer die Atomenergie zivil nutzen darf und wer nicht? Diese Frage stellt sich den Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates in verdeckter Form, wenn sie sich mit dem Thema Iran befassen. Wenn sie eine Resolution gegen den Iran verfassen, müssen sie z.B. entscheiden, ob sie die Aussagen des Atomwaffensperrvertrages zum Recht auf zivile Nutzung der Kernenergie und zur Kontrolle derselben neu interpretieren wollen. Ihre Interpretation würde in bestehendes internationales Recht eingreifen und möglicherweise die Rechtslage verändern – eine Aufgabe, die eigentlich nur den Überprüfungskonferenzen zum Atomwaffensperrvertrag obliegt. An diesen Konferenzen nehmen alle Mitgliedstaaten des Vertrages teil, nicht nur jene 15 Staaten, die im Sicherheitsrat vertreten sind. Die Beratungen in diesem kleinen Gremium kommen durch einen Trick zustande: Der Gouverneursrat der IAEO überwies die Akte Iran nur an den Sicherheitsrat und nicht – wie in den Statuten der IAEO vorgeschrieben – zugleich an die UN-Vollversammlung.


ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS