Interview zum iranischen Atomprogramm
mit Otfried Nassauer
Rundfunk: Herr Nassauer, am vergangenen Freitagabend kamen die Außenminister
der Sechsergruppe in London zusammen, um wie es hieß, über das weitere Vorgehen gegen
den Iran zu beraten. Was wurde dort vereinbart oder beschlossen?
Nassauer: Wir wissen bis heute nicht genau, was dort vereinbart bzw. beschlossen
wurde. Was mit Sicherheit Konsens unter den Außenministern war, war die Tatsache, dass
sie es nicht gut finden, dass der Iran seine Anreicherungstätigkeiten weiter fortführt
und die von UNO-Sicherheitsrat beschlossene Frist überschritten hat. Welche Konsequenzen
daraus folgen? - Da gibt es weiterhin mit Sicherheit Widersprüche zwischen den USA und
Großbritannien auf der einen Seite, China und Russland auf dem anderen Extrem und
Deutschland und Frankreich irgendwo in der Mitte. Meiner Einschätzung nach möchten die
Amerikaner und Briten ganz gerne den Eindruck erwecken, als ob man kurz davor stehe,
erstmals konkret über Sanktionen gegen den Iran zu reden, während Russland und China,
weiterhin argumentieren: "Nein über konkrete Sanktionen reden wir noch nicht. Wir
reden zurzeit nur über die Tatsache, dass man, wenn der Iran dauerhaft bei der jetzigen
Linie bleibt, auch über Sanktionen reden muss."
Rundfunk: Nun, Sie haben bereits von Differenzen unter den Mitglieder der
Sechsergruppe gesprochen. Wie geht es hier nun weiter?
Nassauer: Meiner Einschätzung nach wird es zunächst einmal so weiter gehen wie in
der Vergangenheit. Man wird versuchen darüber zu diskutieren, ob man den Iran eine neue
Frist setzen sollte, oder man wird auch versuchen, erneut über ein Modell zu reden, wie
es ja schon mal in Gespräch war, nämlich einer befristeten Aussetzung der
Forschungstätigkeiten im Bereich der Urananreicherung, damit sozusagen beide Seiten ohne
Gesichtsverlust eine Gesprächzeit bekommen von zwei oder drei oder vier Monaten. Da wird
man mit Sicherheit auf beides noch mal zurückkommen, auch wenn durch die Indiskretionen
in Amerika der letzte Anlauf zu einer solchen Lösung vorzeitig torpediert worden ist.
Rundfunk: Herr Nassauer, es gibt noch eine Reihe von anderen Möglichkeiten,
dieses Problem zu lösen. Weshalb beharrt man nach wie vor auf einer Möglichkeit,
nämlich dem Aussetzen als Voraussetzung für die Wiederaufnahme von Verhandlungen?
Nassauer: Ich denke, dass es hier um den Fall geht, dass Amerika eine klare
Position vertreten hat und auch noch immer vertritt, nämlich dass der Iran weder in
Forschungs- noch im industriellen Bereich anreichern sollte. Um diese Grundposition der
Amerikaner, nämlich zu sagen: "Keine Anreicherungstätigkeit jeder Form." Die
ist bisher nicht revidiert worden und so lange diese Position gilt, sind viele
Kompromisslinien verschlossen. Unter anderem die Kompromisslinien, die ich eben angedeutet
habe, aber auch Kompromisslinien, wie sie vor einigen Monaten, Anfang des Jahres, von Al
Baradei, von der IAEO evaluiert worden sind, also beispielsweise die Frage, ob man dem
Iran für eine Zwischenfrist zwar die industrielle Anreicherung untersagt, aber auf der
anderen Seite akzeptiert, wenn im begrenzten Umfang mit den vorhandenen Zentrifugen
Forschung betrieben wird.
Rundfunk: Also hier geht es um die Position der USA und keinesfalls um ein
Recht.
Nassauer: Es geht auf der einen Seite um die Position der USA und es geht auf der
anderen Seite schon auch um eine Frage des Rechtes. Denn der Iran hat, das wissen Sie
selbst, nach dem Atomwaffensperrvertrag die rechtliche Möglichkeit, jederzeit zivil die
Atomenergie zu nutzen und zu erforschen. Aber angesichts der Fehler, die der Iran in der
Vergangenheit gemacht hat, sagen die westlichen Staaten mit einem gewissen Recht, dass der
Iran zunächst einmal das Vertrauen der internationalen Gemeinschaft und der IAEO zurück
gewinnen sollte und zum Beispiel für die Zeit, die die IAEO braucht, um die Vergangenheit
des iranischen Atomprogramms zu erforschen, weitere Tätigkeiten auszusetzt, bis zu dem
Zeitpunkt, wo das alles geklärt ist, um dann zu sagen: "O.K. jetzt ist der Iran
wieder ein gleichberechtigtes Mitglied in allen Institutionen bzw. in allen seinen Rechten
auch."
Rundfunk: Herr Nassauer, Sie haben auch von Sanktionen gesprochen. Sanktionen
werden, wenn man Wirtschaftsexperten Glauben schenken kann, eher den Westen treffen als
den Iran. Also jetzt stellt sich die Frage nach der Zweckmäßigkeit solcher Sanktionen?
Nassauer: Die Frage nach Sanktionen ist im Fall des Irans eine besonders komplexe.
Ich bin relativ sicher, dass Sanktionen zum gegenwärtigen Zeitpunkt politisch nicht die
ideale Variante sind, weil sie auch das Gesprächsklima weiter erschweren würden. Es ist
allerdings auf der anderen Seite eine Frage, welche Sanktionen man ergreift? Ob diese
Sanktionen a). wirksam sind und einen entscheidenden Druck ausüben können oder ob sie b)
primär den Iran oder primär die westlichen Staaten treffen. Man kann auch im Bereich der
Sanktionen und der wirtschaftlichen Zusammenarbeit einen Konflikt produzieren, der dann
wiederum eskalieren kann. Deswegen habe ich eben am Anfang gesagt, ich glaube, Sanktionen
sind im Moment nicht das ideale Modell, weil es dann einfach eine zweite Konfliktebene
gibt..
Rundfunk: Herr Nassauer, der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt hat in einem
ARD Gespräch vor einigen Tagen, den Atommächten vor allem den USA vorgeworfen, für die
gegenwärtige Lage im Atomstreit oder in Atomfragen verantwortlich zu sein. In wieweit
können Sie die Aussagen bzw. die Meinung vom ehemaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt
teilen?
Nassauer: Helmut Schmidt ist ein Realpolitiker durch und durch. Und er hat auf
einen Punkt, wenn ich das richtig sehe, aufmerksam gemacht, der tatsächlich ein ganz
gravierender ist. Die bisherigen, legalen Atommächte sind ihren
Abrüstungsverpflichtungen innerhalb des Atomwaffensperrvertrags nicht ausreichend
nachgekommen und auf den Punkt, wenn ich das richtig sehe, hat Herr Schmidt hingewiesen
und der ist absolut korrekt betrachtet.
Rundfunk:Und was ist dann die Lösung? Bzw. wie kann man aus dieser Sackgasse
rauskommen?
Nassauer: Ich denke, wir müssen aus dieser Sackgasse bis zu
Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages 2010 dringend herauskommen.
Allerdings heißt das, dass beide Probleme gleichzeitig angepackt werden müssen, nämlich
der mangelnde Fortschritt bei der nuklearen Abrüstung auf der einen Seite und eine
Verbesserung der Nichtverbreitungsregeln auf der anderen Seite. Beide Schritte oder beide
Ziele des Atomwaffensperrvertrages, des Nichtverbreitungsvertrages, müssen gleichzeitig
gestärkt werden und dann kriegt man, meiner Einschätzung nach, innerhalb des Kreises der
Mitgliedstaaten auch eine Stärkung des Nichtverbreitungsregimes politisch gemanagt.
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Das Interview führte Seyed Hedayatollah
Shahrokny |
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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