Deutsche Welle - Interview
29. Mai 2004

"Es ist eine Aufrüstung"


Im Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS) wird der militärische Ehrgeiz der EU kritisch verfolgt. DW-WORLD befragte den Experten Christopher Steinmetz zu den Plänen einer Rüstungsagentur.

DW-WORLD: Welche Bedeutung hat die momentan entstehende Europäische Rüstungsagentur?
Christopher Steinmetz: Es ist eine Etappe auf der sich schon lange abzeichnenden Militarisierung der Europäischen Union. Dazu gehört auch der Aufbau von Verwaltungsstrukturen, die die Versorgung der Streitkräfte mit Rüstungsgütern managen.

Braucht die EU eine solche Agentur?
Das bleibt abzuwarten. Alles läuft darauf hinaus, dass die Rüstungsagentur im Bereich der Nationalstaaten bleiben soll. Damit will man einen Effizienzgewinn und eine Verbesserung des Handlungsspielraums der jeweiligen Regierungen erreichen, um so wieder auf Augenhöhe mit der Industrie verhandeln zu können. Durch die geringen nationalen Stückzahlen von Waffen konnten die Firmen zunehmend die Preise diktieren. Daher ist die Integration auf europäischer Ebene ein Vorteil. Außerdem kann man im nationalen Verwaltungsapparat Stellen abbauen. Das eingesparte Geld hat man dann für neue Rüstungsprojekte zur Verfügung.

Mit der Agentur sollen also auch die nationalen Verwaltungen ausgedünnt werden?
Das ist immer ein Aspekt dabei. Fraglich ist nur, mit welchem Mandat deutsche Beamte aus dem Verteidigungsministerium dieser Agentur überstellt werden, um über neue Rüstungsprojekte zu bestimmen. Es kann zu einer Situation kommen, in der über sehr teure Rüstungsvorhaben außerhalb der nationalen politischen und demokratischen Kontrollprozesse entschieden wird.

Die Parlamentarier würden damit zu Statisten?
Sie werden nachträglich Sachen vorgelegt bekommen. Nur werden dann wohl zurecht Sachzwänge bemüht werden können, die eine politische Entscheidung schwierig machen.

Wie muss man sich das konkret vorstellen?
Sagen wir, es gibt eine Entscheidung der Regierungen in Deutschland, Österreich und Spanien, ein neues gepanzertes Fahrzeug zu entwickeln. Man erreicht in der Rüstungsagentur einen Konsens. Die Agentur schreibt europaweit aus, legt Stückzahlen fest. Das dauert zwei oder drei Jahre. Später wird der Deutsche Bundestag darüber informiert. Nur inwieweit können der Haushalts- oder Verteidigungsausschuss dann überhaupt noch die Komplexität der Verträge erkennen? Und hat man dort noch den politischen Willen, dagegen zu stimmen?

Sie haben in letzter Zeit vertieft zum Einfluss der Rüstungsindustrie auf den Aufbau der Rüstungsagentur gearbeitet. Will die Rüstungsindustrie die Agentur?
Sie will sie. Sie verfolgt dieses Ziel seit sieben Jahren explizit. Weil es einfach das ganze Verfahren für sie erleichtert. Sie müssen nur noch mit einer Agentur verhandeln, können dort auch größere Volumina gleich längerfristig sicherstellen. Für Konzerne ist es ja immer sehr wichtig auf lange Zeit volle Auftragsbücher zu haben. Außerdem reichen die Auftragsvolumina der einzelnen Staaten nicht mehr aus, um eine langfristige Planung zu ermöglichen und die entsprechenden Renditen in Aussicht zu stellen.

Wie versuchen die Lobbyisten ihre Interessen durchzubringen?
Die Lobbyverbände in Brüssel haben der Europäischen Kommission oder dem Rat immer die Agenda diktiert. Sie waren es, die gesagt haben, was sie gerade aktuell beschäftigt – etwa der Abbau von Duplizierungen, Erleichterung des Technologietransfers, Erleichterung der Exporte – und eigentlich folgte immer ein entsprechendes Dokument der Kommission oder des Rates. Die Verbände haben sich auch in der Verfassungsdiskussion sehr engagiert.

Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass mit der neuen Agentur die Ausgaben für Rüstung zunehmen?
Die Wahrscheinlichkeit ist hoch. Denn wenn man keine neuen Waffensysteme beschaffen wollte, dann bräuchte man auch die Agentur nicht. Es wird ja auch Personal abgebaut werden. Und dieses Geld wird aller Wahrscheinlichkeit nach in den investiven Bereich hineinfließen. Es ist also eine Aufrüstung, egal wie man es dreht oder wendet.

Das Interview führte Markus Frenzel

 

   ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei BITS.