Deutschlandfunk - Interview
15. Februar 2005


Experte für transatlantische Beziehungen nimmt Schröder in Schutz

Interview mit Otfried Nassauer

Stefan Heinlein: Herr Nassauer, hat der Bundeskanzler Recht mit seiner Analyse? Gibt es eine Sinnkrise bei der NATO?

Otfried Nassauer: Er hat Recht mit seiner Zustandsbeschreibung. Erstens, weil zum Beispiel bei den Treffen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten inzwischen viele wichtige Themen verhandelt werden, die für die Sicherheitslage genauso bedeutsam sind wie die Sachen, die bei der NATO diskutiert werden. Zweitens, weil die NATO als primär militärisches Gremium nur einen Teil der sicherheitspolitisch wichtigen Aspekte abdeckt. Drittens, weil die USA die NATO in der Frage Irak-Krieg quasi zum Konsultationsgremium reduziert haben, obwohl es eigentlich ein Gremium für gemeinsame Entscheidungsfindung ist. So musste sie eine ähnliche Erfahrung wie der UNO-Sicherheitsrat machen, sodass man also sagen kann: ok, die Zustandsbeschreibung ist erstmal richtig. In der NATO werden nicht mehr alle wichtigen Fragen diskutiert, das liegt unter anderem daran, dass das Bündnis hauptsächlich ein politisch-militärisches Bündnis ist und die Risiken, mit denen wir es zu tun haben, nicht primär alle im Bereich des politisch-militärischen Risikopotenzials zu suchen sind.


Heinlein: Die Zustandsbeschreibung, Herr Nassauer, ist richtig, sagen Sie. Wie sinnvoll ist denn die Folgerung des Kanzlers? Er hat gesagt, ein Expertengremium aus alt gedienten, ehemaligen Politikern solle nun versuchen, die Reform der NATO in Gang zu bringen.

Nassauer: Es ist ein Weg, wie man eine solche Diskussion versuchen kann, nach vorne zu treiben, ohne zu behaupten, dass man selbst den Stein der Weisen schon gefunden hätte. Insofern, einen solchen Vorschlag kann man machen, ein solcher Vorschlag kann auch produktiv sein. Die Vereinten Nationen sind ja diesen Weg auch gegangen mit der Kommission, die Herr Annan eingesetzt hat. Möglich ist das als ein Weg, wie man auf neue Ideen kommen kann, schon.


Heinlein: Warum braucht es denn diese Art Rürup-Kommission für transatlantische Fragen? Gibt es nicht genug Sachverstand innerhalb der NATO?

Nassauer: Doch, den gibt es schon, aber dieser Sachverstand innerhalb der NATO der könnte natürlich auch von aktuellen Eigeninteressen und beruflichen Interessen und sonstigen Interessen zu stark geprägt sein. Insofern sind externe Berater manchmal ja ganz nützlich, Menschen, die im Moment gar kein direktes Eigeninteresse haben. Außerdem denken Sie dran, es ist natürlich wirklich so, dass man im Moment einmal gucken muss, die neuen Risiken, mit denen wir es zu tun haben, sagen wir mal der Terrorismus, die Proliferation von Massenvernichtungswaffen, das Fehlschlagen von Staaten, ja selbst sogar manche der Regionalkonflikte, das sind zu ganz großen Teilen Risiken, die von der Grundstruktur her primär politischer, manchmal sogar wirtschaftlicher oder sogar innenpolitischer Antworten bedürfen, aber eben nicht nur Antworten, die aus dem militärischen, beziehungsweise politisch-militärischen Bereich kommen. Die NATO, die hat an der Stelle wirklich eine Schwäche, sie ist ein rein politisch-militärisches Instrument, dessen letzte Jahre auch in der Reformdebatte primär von einer Politik geprägt gewesen sind, in der im Vordergrund stand, die militärischen Fähigkeiten zu modernisieren und zu transformieren und an diese veränderten Risiken anzupassen. Nur, das Problem ist: Die meisten dieser Risiken brauchen eben primär nicht militärische Antworten.


Heinlein: Haben Sie eine Erklärung, warum der Kanzler gerade jetzt zu diesem Zeitpunkt auf diese Risiken und Schwächen der NATO hingewiesen hat?

Nassauer: Ich glaube, Herrn Schröder geht es, gerade auch angesichts der Charmeoffensive aus Washington schon darum, zu signalisieren, dass wir im europäisch-amerikanischen Verhältnis eine längerfristige Lösung brauchen. Eine Lösung, die nicht im Grundsatz dadurch beschränkt wird, dass sie auf aktuelle Tagespolitik antwortet. Da geht es ihm darum, sowohl die UNO als auch die NATO als multilaterale Instrumente, in denen Europa stärker mitbestimmen kann, stärker auch mitentscheiden kann, wieder ein bisschen weiter in den Vordergrund zu spielen und rückgängig zu machen, was während des Irakkrieges halt stattgefunden hat, dass nämlich diese Gremien, diese multilateralen Gremien quasi zu Konsultationsgremien runtergestuft wurden.


Heinlein: War es klug, diese Vorschläge gerade jetzt zu machen vor dem NATO-Gipfel und vor dem Bush-Besuch hier in Europa?

Nassauer: Darüber kann man streiten, ob das in dieser Form und zu diesem Zeitpunkt eine gute Idee ist. Ich denke aber, dass eine solche "Provokation" durchaus auch ihren Sinn hat und dass sie vor allem auch tatsächlich deutlich machen kann: wir brauchen hier eine Änderung und diese Änderung, die muss auch der Tatsache gerecht werden, dass Europa durch die neuen Mitglieder ein bisschen größer geworden ist, ein bisschen mehr Gewicht bekommen hat und dass dieses Europa nicht ausschließlich sozusagen der Erfüllungsgehilfe für politische Ideen Washingtons ist.


Heinlein: Diese Provokation wirkte umso stärker, weil Schröder sein Redemanuskript ja nicht vorab abgestimmt hat mit der NATO oder mit den europäischen Partnern?

Nassauer: Das ist in der Tat richtig und es ist aber ein Phänomen, das im Prinzip ja schon mal passiert ist. Denken Sie an die Münchner Sicherheitskonferenz vor zwei Jahren.


Heinlein: Warum macht der Kanzler das ganz bewusst zum zweiten Mal?

Nassauer: Ich bin nicht der Interpret des Kanzlers, das weiß ich nicht, das muss ich jetzt ganz offen sagen. Manchmal ist es ja so, dass gut gemeint nicht gut gemacht ist.


Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen war das Ottfried Nassauer, er ist Direktor des Berliner Informationszentrums für transatlantische Sicherheit.


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS