Deutschlandfunk - Interview
08. November 2006


"Da wird nicht alles einfacher"

Interview mit Otfried Nassauer

Die Machtverschiebungen in den USA zugunsten der Demokraten werden nach Einschätzung Otfried Nassauers, Direktor des Zentrums für transatlantische Sicherheit in Berlin, deutliche Veränderungen im europäisch-amerikanischen Verhältnis nach sich ziehen. Europa müsse angesichts einer stärkeren multilateralen Ausrichtung der US-Politik eigene strategische Vorstellungen in der Außenpolitik zum Beispiel für Afghanistan entwickeln.

Stefan Heinlein: Die Macht ist also neu verteilt. Die europäischen Partner müssen sich künftig auf eine neue politische Konstellation in Washington einstellen. Es wird Veränderungen auch im außenpolitischen Kurs der USA geben. In vielen Fragen könnte die Zusammenarbeit einfacher werden. Der Ton - so die Erwartungen im Vorfeld auch in Berlin - dürfte verbindlicher werden. Allerdings auch in den kommenden zwei Jahren bleibt der geschwächte Präsident Hauptansprechpartner in Washington.
Am Telefon begrüße ich jetzt den Direktor des Zentrums für transatlantische Sicherheit, Otfried Nassauer. Guten Tag, Herr Nassauer!
Otfried Nassauer: Guten Tag, Herr Heinlein!

Heinlein:! Wir haben es gehört: klammheimliche Freude in Berlin über den Wechsel in Washington. Wird jetzt tatsächlich alles einfacher im transatlantischen Verhältnis?
Nassauer: Nein, nein. Da wird nicht alles einfacher. Ich glaube, dass so manchem in Berlin möglicherweise das Lachen in einigen Wochen und Monaten ein bisschen im Halse ersticken könnte. Denn die Tatsache, dass die Demokraten ja keinen 180-Grad-Wechsel in der Außen- und Sicherheitspolitik gegenüber George W. Bush vollziehen können und auch gar nicht wollen von ihrer Grundposition her, die wird in der Tat, wie Karsten Voigt gesagt hat, zu stärkeren Forderungen an Europa führen. Und sie wird in der Tat dazu führen, dass die Europäer sich auch innenpolitisch stärker mit der Agenda Washingtons auseinandersetzen müssen, ob wir das nun wollen oder nicht. Das heißt, Europa wird gefordert sein, sei es für Afghanistan, sei es in anderen Kontexten, eigene außenpolitische strategische Vorstellungen zu entwickeln, wenn es nicht unter dem Druck Washingtons dem innenpolitischen Kompromiss zwischen Demokraten und Republikanern, die ja mit Präsident Bush durchaus immer noch die Gestaltungsmacht über die amerikanische Außenpolitik haben, unterliegen will.

Heinlein: Aber ist das nicht das, was Berlin und andere europäische Hauptstädte immer gefordert haben, eine stärkere multilaterale Hinwendung der amerikanischen Außenpolitik?
Nassauer: Das ist beides. Das ist eine Chance auf eine stärkere multilaterale Ausgestaltung der amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik. Da die aber weiterhin an dem nationalen Interesse Washingtons ausgerichtet sein wird, ist es auch gleichzeitig eine stärkere Herausforderung, sich mit den Zielen Washingtons auseinanderzusetzen und eigene Ziele beziehungsweise Strategien zum Erreichen von solchen Zielen zu definieren. Das ist ein Punkt, wo die europäische Politik und auch gerade die Berliner Politik eine große strategische Schwäche hat.

Heinlein: Blicken wir auf den Irak. Das war ja unbestritten das Hauptthema in diesem Wahlkampf und wohl auch entscheidend für die Entscheidung, so wie sie ausgefallen ist. Die Demokraten haben jetzt bereits eine Wende in der Irak-Politik gefordert. Wie könnte denn diese Wende aussehen?
Nassauer: Die Wende, die die Demokraten in der Irak-Politik Amerikas fordern, die ist eine Wende, die sich an Kofi Annan messen muss, der vor einigen Wochen mal zutreffenderweise gesagt hat, es wäre das beste, wenn die Amerikaner aus dem Irak abziehen würden. Aber das Dumme ist: Sie können überhaupt nicht abziehen. Das heißt mit anderen Worten, es ist zunächst einmal eine Wende, die eine rhetorische Forderung darstellt, aber die noch nicht strategisch unterfüttert ist. Ich kenne jedenfalls keine demokratische Planung, wie man mit dem Irak insgesamt strategisch anders umgehen könnte, als es die amerikanische Administration bisher getan hat. Und die Kontrolle über eines oder vielleicht sogar beide Häuser des amerikanischen Kongresses ist noch keine Garantie dafür, dass diese strategische Wende, wenn sie denn von den Demokraten entwickelt werden würde, auch implementiert werden könnte. Letztlich hat hier das Sagen ja immer noch der Präsident, und deswegen werden wir uns in den nächsten zwei Jahren durchaus auch noch mit der Politik George W. Bushs höchst intensiv auseinandersetzen müssen. Ich nannte das eben sozusagen den innenpolitischen amerikanischen Kompromiss zwischen der Position Bushs und dem, was die Demokraten vielleicht in einem oder in beiden Häusern des Kongresses an Strategie formulieren werden.

Heinlein: Der Zwang zum Konsens also, der Zwang zum Kompromiss. Könnte es gerade in der Irak-Frage und in anderen außenpolitischen Fragen dann so eine Art große Koalition zwischen dem demokratischen Kongress kommen und dem Weißen Haus?
Nassauer: Es kann auf der einen Seite zu einer großen Koalition kommen. Dann wird der Druck auf Europa, amerikanischen Interessen dienlich zu agieren, durchaus wahrscheinlich sehr viel größer. Es kann aber auf der anderen Seite auch zu einer Blockade kommen, denn was die Demokraten bislang zu erkennen gegeben haben, ist ja unter anderem auch, dass sie im Blick auf die Präsidentschaftswahlen in zwei Jahren gerne einige der Untersuchungen des Kongresses hinsichtlich der Fehler in der Bush-Politik nachholen würden, die sie mangels Mehrheiten im Kongress in der Vergangenheit nicht organisieren konnten. Das heißt, wenn die Demokraten auch mit dem Ziel, die Präsidentschaftswahlen in zwei Jahren dann gewinnen zu können, jetzt die Bush-Administration heftig unter Druck setzen, innenpolitisch heftig unter Druck setzen durch Untersuchungsausschüsse, dann ist das keine Garantie dafür, dass dabei unbedingt eine Strategie nach vorne herauskommt, sondern es kann auch sein, dass es zu einer Blockade in der amerikanischen Innenpolitik führt, die in vielen Fällen bei den außenpolitischen Konfliktfeldern Irak, Afghanistan zu einer Politik führt, die mehr oder weniger versucht, den Status Quo zu erhalten, weil nicht mal mehr Handlungsspielraum ist. Meiner Einschätzung nach wird es eher komplizierter.

Heinlein: Eine weitere Einschätzung von Ihnen, Herr Nassauer: Ist das, was wir jetzt in dieser Wahlnacht erleben, die Ergebnisse dieser Wahl, ist das der Anfang vom Ende der Ära Bush?
Nassauer: Der Anfang vom Ende der Ära Bush wurde mit dieser Wahl sowieso eingeleitet, weil George W. Bush nicht erneut kandidieren kann. Es ist im Prinzip der erste Schritt in den Vorwahlkampf in Amerika, und ob bei diesem Wahlkampf, der jetzt um die Präsidentschaft entbrennen wird, die Demokraten oder die Republikaner obsiegen, das wird sehr stark a von den Kandidaten und b von der weiteren politischen Entwicklung abhängen. Und ich bin mir noch nicht sicher, ob die Demokraten unabhängig davon, wie viele Fehler sie jetzt machen werden, da mit halbwegs, sagen wir, gesichert sehr viel günstigeren Voraussetzungen rangehen können.

Heinlein: Wie rasch werden denn jetzt die Kandidaten von beiden Parteien, also Demokraten und Republikanern, aus der Deckung kommen, um sich zu positionieren für die Präsidentschaftswahlen 2008?
Nassauer: Erste Kandidaten haben ja schon indirekt ihre Hüte in den Ring geworfen. Es wird mit Sicherheit noch einige weitere Versuche geben, dies auszutesten. Im Wesentlichen ist das Ganze aber von dem Vorwahlprozess hier bestimmt. Und das heißt faktisch, darauf werden wir noch eine ganze Weile warten müssen. Es sind ja immerhin doch noch zwei Jahre bis zu dieser Präsidentschaftswahl. Ich denke mal, dass man im Frühjahr 2008 langsam sagen kann, wer sind die aussichtsreichen Kandidaten.

Heinlein: Der Direktor des Zentrums für transatlantische Sicherheit, Otfried Nassauer, heute Mittag hier im Deutschlandfunk. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören nach Berlin.


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS