"Da wird nicht alles einfacher"
Interview mit Otfried Nassauer
Die Machtverschiebungen in den USA zugunsten der Demokraten werden nach
Einschätzung Otfried Nassauers, Direktor des Zentrums für transatlantische Sicherheit in
Berlin, deutliche Veränderungen im europäisch-amerikanischen Verhältnis nach sich
ziehen. Europa müsse angesichts einer stärkeren multilateralen Ausrichtung der
US-Politik eigene strategische Vorstellungen in der Außenpolitik zum Beispiel für
Afghanistan entwickeln.
Stefan Heinlein: Die Macht ist also neu verteilt. Die europäischen Partner
müssen sich künftig auf eine neue politische Konstellation in Washington einstellen. Es
wird Veränderungen auch im außenpolitischen Kurs der USA geben. In vielen Fragen könnte
die Zusammenarbeit einfacher werden. Der Ton - so die Erwartungen im Vorfeld auch in
Berlin - dürfte verbindlicher werden. Allerdings auch in den kommenden zwei Jahren bleibt
der geschwächte Präsident Hauptansprechpartner in Washington.
Am Telefon begrüße ich jetzt den Direktor des Zentrums für transatlantische Sicherheit,
Otfried Nassauer. Guten Tag, Herr Nassauer!
Otfried Nassauer: Guten Tag, Herr Heinlein!
Heinlein:! Wir haben es gehört: klammheimliche Freude in Berlin über den
Wechsel in Washington. Wird jetzt tatsächlich alles einfacher im transatlantischen
Verhältnis?
Nassauer: Nein, nein. Da wird nicht alles einfacher. Ich glaube, dass so manchem in
Berlin möglicherweise das Lachen in einigen Wochen und Monaten ein bisschen im Halse
ersticken könnte. Denn die Tatsache, dass die Demokraten ja keinen 180-Grad-Wechsel in
der Außen- und Sicherheitspolitik gegenüber George W. Bush vollziehen können und auch
gar nicht wollen von ihrer Grundposition her, die wird in der Tat, wie Karsten Voigt
gesagt hat, zu stärkeren Forderungen an Europa führen. Und sie wird in der Tat dazu
führen, dass die Europäer sich auch innenpolitisch stärker mit der Agenda Washingtons
auseinandersetzen müssen, ob wir das nun wollen oder nicht. Das heißt, Europa wird
gefordert sein, sei es für Afghanistan, sei es in anderen Kontexten, eigene
außenpolitische strategische Vorstellungen zu entwickeln, wenn es nicht unter dem Druck
Washingtons dem innenpolitischen Kompromiss zwischen Demokraten und Republikanern, die ja
mit Präsident Bush durchaus immer noch die Gestaltungsmacht über die amerikanische
Außenpolitik haben, unterliegen will.
Heinlein: Aber ist das nicht das, was Berlin und andere europäische
Hauptstädte immer gefordert haben, eine stärkere multilaterale Hinwendung der
amerikanischen Außenpolitik?
Nassauer: Das ist beides. Das ist eine Chance auf eine stärkere multilaterale
Ausgestaltung der amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik. Da die aber weiterhin an
dem nationalen Interesse Washingtons ausgerichtet sein wird, ist es auch gleichzeitig eine
stärkere Herausforderung, sich mit den Zielen Washingtons auseinanderzusetzen und eigene
Ziele beziehungsweise Strategien zum Erreichen von solchen Zielen zu definieren. Das ist
ein Punkt, wo die europäische Politik und auch gerade die Berliner Politik eine große
strategische Schwäche hat.
Heinlein: Blicken wir auf den Irak. Das war ja unbestritten das Hauptthema in
diesem Wahlkampf und wohl auch entscheidend für die Entscheidung, so wie sie ausgefallen
ist. Die Demokraten haben jetzt bereits eine Wende in der Irak-Politik gefordert. Wie
könnte denn diese Wende aussehen?
Nassauer: Die Wende, die die Demokraten in der Irak-Politik Amerikas fordern, die
ist eine Wende, die sich an Kofi Annan messen muss, der vor einigen Wochen mal
zutreffenderweise gesagt hat, es wäre das beste, wenn die Amerikaner aus dem Irak
abziehen würden. Aber das Dumme ist: Sie können überhaupt nicht abziehen. Das heißt
mit anderen Worten, es ist zunächst einmal eine Wende, die eine rhetorische Forderung
darstellt, aber die noch nicht strategisch unterfüttert ist. Ich kenne jedenfalls keine
demokratische Planung, wie man mit dem Irak insgesamt strategisch anders umgehen könnte,
als es die amerikanische Administration bisher getan hat. Und die Kontrolle über eines
oder vielleicht sogar beide Häuser des amerikanischen Kongresses ist noch keine Garantie
dafür, dass diese strategische Wende, wenn sie denn von den Demokraten entwickelt werden
würde, auch implementiert werden könnte. Letztlich hat hier das Sagen ja immer noch der
Präsident, und deswegen werden wir uns in den nächsten zwei Jahren durchaus auch noch
mit der Politik George W. Bushs höchst intensiv auseinandersetzen müssen. Ich nannte das
eben sozusagen den innenpolitischen amerikanischen Kompromiss zwischen der Position Bushs
und dem, was die Demokraten vielleicht in einem oder in beiden Häusern des Kongresses an
Strategie formulieren werden.
Heinlein: Der Zwang zum Konsens also, der Zwang zum Kompromiss. Könnte es
gerade in der Irak-Frage und in anderen außenpolitischen Fragen dann so eine Art große
Koalition zwischen dem demokratischen Kongress kommen und dem Weißen Haus?
Nassauer: Es kann auf der einen Seite zu einer großen Koalition kommen. Dann wird
der Druck auf Europa, amerikanischen Interessen dienlich zu agieren, durchaus
wahrscheinlich sehr viel größer. Es kann aber auf der anderen Seite auch zu einer
Blockade kommen, denn was die Demokraten bislang zu erkennen gegeben haben, ist ja unter
anderem auch, dass sie im Blick auf die Präsidentschaftswahlen in zwei Jahren gerne
einige der Untersuchungen des Kongresses hinsichtlich der Fehler in der Bush-Politik
nachholen würden, die sie mangels Mehrheiten im Kongress in der Vergangenheit nicht
organisieren konnten. Das heißt, wenn die Demokraten auch mit dem Ziel, die
Präsidentschaftswahlen in zwei Jahren dann gewinnen zu können, jetzt die
Bush-Administration heftig unter Druck setzen, innenpolitisch heftig unter Druck setzen
durch Untersuchungsausschüsse, dann ist das keine Garantie dafür, dass dabei unbedingt
eine Strategie nach vorne herauskommt, sondern es kann auch sein, dass es zu einer
Blockade in der amerikanischen Innenpolitik führt, die in vielen Fällen bei den
außenpolitischen Konfliktfeldern Irak, Afghanistan zu einer Politik führt, die mehr oder
weniger versucht, den Status Quo zu erhalten, weil nicht mal mehr Handlungsspielraum ist.
Meiner Einschätzung nach wird es eher komplizierter.
Heinlein: Eine weitere Einschätzung von Ihnen, Herr Nassauer: Ist das, was wir
jetzt in dieser Wahlnacht erleben, die Ergebnisse dieser Wahl, ist das der Anfang vom Ende
der Ära Bush?
Nassauer: Der Anfang vom Ende der Ära Bush wurde mit dieser Wahl sowieso
eingeleitet, weil George W. Bush nicht erneut kandidieren kann. Es ist im Prinzip der
erste Schritt in den Vorwahlkampf in Amerika, und ob bei diesem Wahlkampf, der jetzt um
die Präsidentschaft entbrennen wird, die Demokraten oder die Republikaner obsiegen, das
wird sehr stark a von den Kandidaten und b von der weiteren politischen Entwicklung
abhängen. Und ich bin mir noch nicht sicher, ob die Demokraten unabhängig davon, wie
viele Fehler sie jetzt machen werden, da mit halbwegs, sagen wir, gesichert sehr viel
günstigeren Voraussetzungen rangehen können.
Heinlein: Wie rasch werden denn jetzt die Kandidaten von beiden Parteien, also
Demokraten und Republikanern, aus der Deckung kommen, um sich zu positionieren für die
Präsidentschaftswahlen 2008?
Nassauer: Erste Kandidaten haben ja schon indirekt ihre Hüte in den Ring geworfen.
Es wird mit Sicherheit noch einige weitere Versuche geben, dies auszutesten. Im
Wesentlichen ist das Ganze aber von dem Vorwahlprozess hier bestimmt. Und das heißt
faktisch, darauf werden wir noch eine ganze Weile warten müssen. Es sind ja immerhin doch
noch zwei Jahre bis zu dieser Präsidentschaftswahl. Ich denke mal, dass man im Frühjahr
2008 langsam sagen kann, wer sind die aussichtsreichen Kandidaten.
Heinlein: Der Direktor des Zentrums für transatlantische Sicherheit, Otfried
Nassauer, heute Mittag hier im Deutschlandfunk. Ich danke für das Gespräch und auf
Wiederhören nach Berlin.
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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