Militärcourage
Eine Frage des Gewissens
Jürgen Rose
Wer immer Bundeswehrsoldaten in militärische Abenteuer schickt, wird sich das künftig
zweimal überlegen müssen. "Herr", hörte ein Major 1860 aus dem Munde des
Prinzen Friedrich Karl von Preußen, "dazu hat Sie der König zum Stabsoffizier
gemacht, damit Sie wissen, wann Sie nicht zu gehorchen haben." Ob der
katholisch-bayerische Bundeswehrmajor Florian Pfaff bei seiner Gehorsamsverweigerung
diesen protestantisch-preußischen Wahlspruch vor Augen hatte, mag dahinstehen. Fest
steht, dass er genau wusste, wann er nicht zu gehorchen hatte und sich als
Softwarespezialist nicht am Morden im Irak beteiligen wollte, wie er vor laufender Kamera
zu verstehen gab. Mit seinem Handeln folgte Pfaff der in der altpreußischen
Militärtradition (sic!) tief verwurzelten Praxis couragierter Insubordination.
Traurig nur, dass es erst eines höchstrichterlichen Urteils bedurfte, um die Geltung
solch ehrenhafter Tradition auch für das deutsche Militär unserer Tage festzustellen.
Zugleich erweist das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig mit seinem epochalen Urteil vom
21. Juni Immanuel Kants kategorischem Imperativ unmissverständlich Reverenz, der da
lautet: "Das Recht muss nie der Politik, wohl aber die Politik jederzeit dem Recht
angepasst werden". Dem weiteren Verfall der sicherheitspolitischen Kultur hierzulande
ist hoffentlich einstweilen ein Riegel vorgeschoben.
"Die Streitkräfte sind als Teil der vollziehenden Gewalt ausnahmslos an Recht und
Gesetz und insbesondere an die Grundrechte uneingeschränkt gebunden. Davon können sie
sich nicht unter Berufung auf Gesichtspunkte der militärischen Zweckmäßigkeit oder
Funktionsfähigkeit freistellen", erklären die Richter. Eigentlich eine
Selbstverständlichkeit für einen Rechtsstaat, die ihren Niederschlag folgerichtig im
Soldatengesetz findet. Dort steht im Paragraph 11: "Ein Befehl darf nicht befolgt
werden, wenn dadurch eine Straftat begangen würde." Und im Paragraph 10 heißt es:
"Er (der Vorgesetzte - J.R.) darf Befehle ... nur unter Beachtung der Regeln des
Völkerrechts, der Gesetze und der Dienstvorschriften erteilen."
Angesichts dieser glasklaren Regeln drängen sich sofort zwei Schlussfolgerungen auf. Zum
einen, wie heruntergekommen das Rechtsbewusstsein der politischen Klasse sein muss, die
unter der Devise, Deutschland werde fortan "am Hindukusch verteidigt", offenbar
Völkerrechts- und Verfassungsbruch als lässliche Sünde erachtet. So geschehen 1999 mit
der Teilnahme am völkerrechtswidrigen Luftkrieg der NATO gegen Jugoslawien, 2001 mit der
vom UN-Sicherheitsrat nicht autorisierten Beteiligung von Bundeswehrsoldaten am Krieg in
Afghanistan und zuletzt 2003 mit der Unterstützung des US-Angriffs auf den Irak. Zum
anderen, wie gravierend doch die "Enttabuisierung des Militärischen" ist, in
deren Windschatten Rot-Grün den Ausstieg aus der Anfang der neunziger Jahre sorgsam
gepflegten "Kultur der Zurückhaltung" vollzogen hat. Seither gilt nicht länger
die Parole "Frieden schaffen mit weniger Waffen", sondern die Maxime
"Frieden schaffen mit aller Gewalt".
Auch bei den Christdemokraten lässt man sich da nicht lumpen. So kündigten Präsidium
und Vorstand der CDU den jahrzehntelangen sicherheitspolitischen Grundkonsens des Landes
auf. "Die Beschränkung der Staaten, nur zum Zweck der Selbstverteidigung und der
Nothilfe zu den Waffen greifen zu dürfen, ist aufzuheben", wurde am 28. April 2003
verlautbart. Darüber hinaus sei "das Verbot der Intervention, also der Einmischung
in die inneren Angelegenheiten eines Staates nicht mehr zeitgemäß". Dementsprechend
müsse "das Völkerrecht in diesen Punkten weiterentwickelt werden".
Angesichts dieser Beschlusslage steht von einer mit habituellen Ergebenheitsadressen
gegenüber dem Oval Office glänzenden Bundeskanzlerin in spe nichts Gutes zu erwarten.
Aber eines haben die Richter am Bundesverwaltungsgericht all den
"Modernisierern" des Völkerrechts unzweideutig ins Stammbuch geschrieben: Der
Primat der Politik gilt lediglich innerhalb der Grenzen von Recht und Gesetz, jenseits
davon herrscht der Primat des Gewissens! Wer immer die Bundeswehr unter Bruch des
Völkerrechts und der Verfassung in militärische Abenteuer zu schicken plant, wird sich
das in Zukunft zweimal überlegen müssen.
Peinliche Fragen muss sich nach dem Urteil von Leipzig neben der politischen freilich auch
die militärische Führung gefallen lassen. Weshalb eigentlich bedarf es eines subalternen
Stabsoffiziers, um einem angeblich schon immer garantierten demokratischen Grundrecht in
der Armee eine Bresche zu schlagen? Warum entzieht sich die hohe Generalität
diesbezüglich ihrer Verantwortung. Neu ist das nicht, wie ein Blick in die deutsche
Militärgeschichte zeigt. Hatte doch schon der von Hitler hoch geschätzte Feldmarschall
Erich von Manstein den Anführer der Offiziere des 20. Juli 1944, Oberst Graf Schenk von
Stauffenberg, grob abgekanzelt: "Preußische Feldmarschälle meutern nicht!" So
demonstrierten während der Nazityrannei die Goldbetressten fast ausnahmslos: Je höher
der Dienstgrad, desto niedriger die Gesinnung. Und wie liegen die Verhältnisse
heutzutage?
Kaum hat sich der Staub gelegt, den der Skandal von Coesfeld aufgewirbelt hatte, tritt das
Elend der Inneren Führung im Falle Pfaff erneut zutage. Wie angeschlagen muss das Innere
Gefüge der Truppe sein, wenn ein Stabsoffizier erst vor ein Bundesgericht ziehen muss, um
sein Recht zu bekommen? Wie steht es um die Qualifikation höherer und höchster
Vorgesetzter, die offenbar nicht erkannten, dass ihr Untergebener sich im Recht befand?
Die ihn stattdessen maßregelten. Auch wenn soeben die Bundesverwaltungsrichter mit ihrem
Beschluss bekräftigt haben, dass es sich beim Terminus "Soldat" eben nicht um
ein Akronym handelt, das ausbuchstabiert bedeutet: "Soll ohne langes Denken alles
tun."
Dipl. Päd. Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr. Er vertritt
in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen.
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