Militärisch bedeutungslos und rechtlich fragwürdig?
Der deutsche Marine-Einsatz am Horn von Afrika
Gastbeitrag von Andreas Dawidzinski
Zurzeit befindet sich mit der Fregatte Augsburg lediglich ein deutsches Schiff mit rund
220 Besatzungsmitgliedern am Horn von Afrika. Möglich ist nach dem gegenwärtigen Mandat
aber der Einsatz von bis zu 1.100 Marine-Soldaten. Die Operation Enduring Freedom steht
unter Führung der USA. In dem Bundestagsmandat ist der Auftrag der deutschen Soldaten wie
folgt festgelegt:
Zitat Mandat:
"Diese Operation hat zum Ziel, Führungs- und Ausbildungseinrichtungen von
Terroristen auszuschalten, Terroristen zu bekämpfen, gefangen zu nehmen und vor Gericht
zu stellen sowie Dritte dauerhaft von der Unterstützung terroristischer Aktivitäten
abzuhalten."
Gemessen an diesem Auftrag ist das Ergebnis der Marine-Mission eher ernüchternd. Das
musste vor einiger Zeit bereits Flottillenadmiral Manfred Nielson einräumen, damals
zugleich Befehlshaber der Task Force 150:
O-Ton Nielson:
"Mit Zahlen, Daten, Fakten, die jetzt wirklich griffig sind, wo man sagen
kann, wir haben so und so viele Terroristen gefasst und das ist sonst noch passiert, kann
ich nicht aufwarten."
Daran hat sich bis heute nichts geändert. Bisher wurde von deutschen Soldaten kein
einziger mutmaßlicher Terrorist gefasst. Der Auftrag hat sich in der Praxis schnell zu
einer reinen Seeraumüberwachungs-Mission gewandelt. Mit mehreren tausend Schiffen wurde
in dem Seegebiet Funk-Kontakt aufgenommen. Abgefragt werden u.a. Herkunft, Zielort und
Ladung. Es gibt nur wenige Regionen, in denen der Schiffsverkehr seit 2002 so gründlich
dokumentiert ist wie am Horn von Afrika. Mehr als 60 Mal gingen deutsche Boarding Teams
auch an Bord dieser Schiffe, allerdings nur mit ausdrücklicher Einwilligung des
Kapitäns.
Lediglich in einer Phase gab es für die deutschen Marine-Einheiten viel zu tun: Beim
Truppenaufmarsch der US-geführten Koalition für den Irak-Krieg. Zwischen März 2002 und
Juli 2003 haben deutsche Marine-Einheiten vor allem amerikanische und britische Schiffe
begleitet. Von Mitte März bis Anfang April 2003 fast täglich.
Bekannt wurden diese Aktivitäten allerdings erst im November vergangenen Jahres - nach
einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion. Zur Erinnerung: Die
rot-grüne Koalitionsregierung hatte damals eine Beteiligung am Irak-Krieg abgelehnt -
weil man ihn politisch für falsch hielt und weil es dafür kein UN-Mandat gab. Doch das
hielt die Regierung Schröder nicht davon ab, unter dem Anti-Terror-Mandat Enduring
Freedom auch ABC-Spürpanzer in Kuwait zu stationieren. Manche Kritiker haben diesen
Schritt, zusammen mit anderen Maßnahmen, als deutsche Unterstützung des
völkerrechtswidrigen Irak-Krieges gewertet. Denn ein unmittelbarer Zusammenhang mit der
Terrorismus-Bekämpfung war auf den ersten Blick nicht zu erkennen.
Das am Horn von Afrika zu überwachende Seegebiet ist riesig. Auch deshalb konnten die
OEF-Marine-Einheiten den Anschlag auf den französischen Tanker Limbourg im Oktober 2002
vor dem Jemen nicht verhindern.
Selbst wenn deutsche Kriegsschiffe Boote mit mutmaßlichen Terroristen entdecken, sind
ihre Handlungsmöglichkeiten begrenzt. Denn die Einsatzregeln, die so genannten Rules of
Engagement, sind im Vergleich zu denen der anderen Nationen des multinationalen Verbandes
restriktiv. Eine Durchsuchung gegen den Willen des Kapitäns eines verdächtigen Schiffes,
das so genannte Zwangsboarding, ist den Deutschen nicht erlaubt. Ein solches Vorgehen ist
riskant und mit Gefahren verbunden. Wenn Widerstand geleistet wird, dann wird es
schwierig. Der Marine-Offizier und Dozent an der Führungsakademie der Bundeswehr,
Reinhard Rusch:
O-Ton Rusch:
"Hierfür haben wir zum Teil keine ausreichenden Mittel. Das erfordert
besondere Ausrüstung, das erfordert besondere Waffen, das erfordert besondere Crews. Sie
brauchen, wenn sie z.B. mit einem Hubschrauber Personal absetzen wollen und der
Hubschrauber wird dann möglicherweise von diesem Schiff oder von den Terroristen
beschossen, auch einen Schutz für den Hubschrauber gegen die Terroristen, so etwas muss
alles dann in dem Moment vor Ort sein."
Doch auch wenn man mutmaßliche Terroristen ohne Gewalt festsetzen könnte gibt es ein
Problem: Was tun mit den Verdächtigen? Denn klar ist: in Deutschland will man ihnen nicht
den Prozess machen. Und wie die KSK-Soldaten in Afghanistan dürfen auch die
Marine-Soldaten Terrorverdächtige nicht ohne weiteres an die Behörden anderer Länder
übergeben. Voraussetzung ist nämlich, dass die Festgenommenen einen fairen Prozess
bekommen und nach rechtstaatlichen Gründsätzen behandelt werden - so ist es in einem
erst vor sechs Monaten von Staatssekretär Wichert erlassenen schriftlichen Befehl
festgelegt worden. Vorher hatte das Verteidigungsministerium seine Befehlshaber in dieser
Frage weitgehend im Unklaren gelassen. Die Bundesregierung bemüht sich daher seit
geraumer Zeit um ein entsprechendes Abkommen mit Afghanistan, das diese rechtsstaatliche
Behandlung sicherstellen soll. Mit dem Jemen und anderen Küstenländern am Horn von
Afrika wird eine ähnliche Vereinbarung allerdings nicht angestrebt. Und eine Übergabe
von Verdächtigen an die USA? - Immerhin ist Enduring Freedom eine US-Operation. Diese
Möglichkeit scheidet auch aus, weil die Terrorverdächtigen nach Guantanamo gebracht
werden könnten, wo sie de facto rechtlos wären.
Laut Bundestagsmandat soll die deutsche Marine Terroristen nicht nur festnehmen,
sondern ihnen auch potenzielle Verbindungswege abschneiden, ihnen mögliche
Rückzugsräume verwehren. Viele Aktivitäten gibt es vor allem innerhalb der
Küstengewässer. Das Dilemma ist: Dort dürfen die deutschen Einheiten jedoch nicht ohne
weiteres operieren. Voraussetzung ist die Genehmigung des jeweiligen Küstenlandes. Die
aber fehlt der deutschen Marine. Entsprechende Bemühungen beispielsweise mit dem Jemen
waren jedenfalls nicht erfolgreich. Aber selbst wenn eine solche Genehmigung vorläge: Die
deutschen Marine-Einheiten dürften letztlich auch in den Küstengewässern nicht tätig
werden - anders als die Kriegsschiffe der verbündeten Nationen. Der Befehlshaber der
deutschen Flotte, Hans-Joachim Stricker:
O-Ton Stricker:
"Eine Sonderrolle spielen wir insofern, in dem die deutsche Marine eben auch
schon zu Hause keine Polizeiaufgaben auch in eigenen Küstengewässern hat.
. Und da
das in Deutschland, vor der deutschen Küste so ist, gilt das selbstverständlich auch
für Deutsche Marine-Einheiten vor anderen Küsten, dass wir dort nicht polizeilich tätig
werden können. Und das ist auch die Grundlage unserer Diskussion, die wir über
Sicherheit im Seeraum oder über ein Seesicherheitsgesetz begonnen haben, um hier die
Rollenverteilung und die Koordination mit den zuständigen anderen Organisationen im
deutschen Küstenmeer zu regeln. Dass würde uns allerdings auch in die Lage versetzen,
bei Einsätzen wie am Horn von Afrika hier auch anders tätig zu werden als wir es heute
können."
Glaubt man dem SPD-Bundestagsabgeordneten Johannes Pflug so ist die Stimmung an Bord
der deutschen Schiffe vor allem aus diesem Grund denkbar schlecht. Der Parlamentarier war
Anfang September am Horn von Afrika - auch auf der Fregatte Bremen. Seine Eindrücke
schilderte er in der vergangenen Woche auf dem SPD-Bundesparteitag:
O-Ton Pflug:
"Diese Soldatinnen und Soldaten waren tief frustriert. Aber nicht, weil der
Dienst so schwer war, sondern weil sie nicht wussten, was eigentlich ihre Aufgabe ist. Sie
sagten mir, vor unseren Augen werden Schiffe entführt vor der Küste von Somalia. Das
einzige was wir dürfen ist, die Namen feststellen, die Identifizierung der Schiffe
vornehmen, vielleicht auch der Ladung, sonst haben wir keine Kompetenzen. Wir müssen die
Amerikaner benachrichtigen."
Häufig ist zu hören, die Präsenz der Kriegsschiffe habe zu einem Rückgang der
Piraterie beigetragen. Doch von einer abschreckenden Wirkung kann keine Rede sein. Das
Internationale Seefahrtsbüro IMB hat in seinem jüngsten Report insbesondere das
Seegebiet vor Somalia als eines der weltweit gefährlichsten bezeichnet. Die Zahl der
Überfälle hat sich dort gegenüber dem Vorjahreszeitraum verdreifacht.
Flottenbefehlshaber, Vizeadmiral Hans-Joachim Stricker:
O-Ton Stricker:
"Wir müssen leider feststellen, dass sich seit Frühjahr 07 tatsächlich
die Piraterie in dem Seegebiet am Horn von Afrika wieder verstärkt hat. Fakt ist aber
auch, dass das Mandat für die Operation Enduring Freedom nicht den Kampf gegen Piraterie
beinhaltet, und wir insofern nicht gezielt gegen Piraterie in dem Seeraum vorgehen
können."
Enduring Freedom ist offiziell weiterhin eine Anti-Terroroperation. Doch anders als
für die ISAF-Mission gibt es für OEF kein ausdrückliches Mandat des
UN-Sicherheitsrates. Gestützt wird sich seit den Terroranschlägen vom 11. September vor
sechs Jahren vielmehr auf Artikel 51 der UN-Charta. Dort wird einem angegriffenen Staat
das Recht auf Selbstverteidigung zuerkannt. Umstritten ist allerdings, ob dieser
bewaffnete Angriff noch andauert und wie lange man sich auf Artikel 51 berufen darf. Nach
Auffassung der US-Regierung befindet sich Amerika weiterhin in einem globalen Krieg gegen
den Terrorismus eine Betrachtungsweise, die von der Bundesregierung so zwar nicht
geteilt wird. Allerdings wird das Selbstverteidigungsrecht der USA nicht in Frage
gestellt. Doch Selbstverteidigungsmaßnahmen können nicht unbefristet und räumlich
grenzenlos sein. Kritiker, auch in der Bundeswehr, vertreten daher zunehmend die
Auffassung, die Anti-Terror-Operation Enduring Freedom könne sechs Jahre nach den
Anschlägen von Washington und New York nicht mehr mit Artikel 51 der UN-Charta
legitimiert werden. Der Hamburger Völkerrechtler Professor Thomas Bruha:
O-Ton Bruha:
"Das Selbstverteidigungsrecht ist ein zeitlich begrenztes Recht, was
sozusagen als Nothilfe-Maßnahme so lange greift, bis der Sicherheitsrat die
erforderlichen Maßnahmen erlassen hat. D.h. es ist, wie wir Juristen sagen, subsidiär.
...Dieses Recht kann nicht in Raum und Zeit, also unbegrenzt offen bleiben. Es gibt kein
Selbstverteidigungsrecht gegen das Phänomen des Terrorismus, ihn unilateral ohne
Ermächtigung des Sicherheitsrats, wo auch immer auf der Welt, wann auch immer durch Akte
präventiver Kriegsführung zu bekämpfen. ...Also allein die abstrakte Gefahr, dass es zu
terroristischen Angriffen in Zukunft kommen könne, kann also nicht ausreichen."
Im Bundestagsmandat wird neben zwei UN-Resolutionen zwar auch noch der nach den
Terroranschlägen ausgerufene NATO-Bündnisfall erwähnt. Enduring Freedom ist allerdings
keine NATO-Mission, sondern eine Operation unter alleiniger Führung der USA. Der Artikel
5 des NATO-Vertrages kann daher keine Grundlage des Marine-Einsatzes am Horn von Afrika
sein. Außerdem gilt auch hier: Einen ewigen NATO-Bündnisfall gibt es nicht.
Der deutsche Beitrag für Enduring Freedom wird daher rechtlich und auch militärisch
mit zunehmender Dauer immer zweifelhafter. Die Bundesregierung verdrängt diese Defizite,
möchte sie nicht thematisieren. Denn für Berlin hat Enduring Freedom eine ganz andere
Hauptfunktion: Sie gilt als Ausdruck der Solidarität mit den USA, die nicht gefährdet
werden darf.
Andreas Dawidzinski ist freier Journalist.
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