Pirateriebekämpfung durch die Bundesmarine?
Andreas Flocken
Piratenüberfälle am Horn von Afrika gehören inzwischen
schon fast zum Alltag. Die Schiffsbesatzungen werden als Geiseln genommen,
um von den Reedereien Lösegeld zu erpressen. Es heißt, in der
Region vor Somalia seien gegenwärtig mehr als 10 Schiffe mit über
100 Besatzungsmitgliedern in der Hand von Piraten.
Anfang der Woche sind zwei Geiseln durch ein französisches Kommando-Unternehmen
befreit worden. Eine riskante Aktion. Ein Pirat wurde getötet, sechs
wurden gefangen genommen. Und wenige Tage später hat eine dänische
Marine-Einheit zwei Piraten-Schiffe gestürmt.
Deutschland hat die Aktion der Franzosen durch einen Orion-Seefernaufklärer
unter-stützt. Das Marine-Flugzeug ist in Dschibuti stationiert –
im Rahmen der von den USA geführten Anti-Terroroperation Enduring
Freedom OEF. Um die für die Befreiungs-aktion benötigten Aufklärungsergebnisse
den Franzosen übermitteln zu können, wurde das deutsche Flugzeug
kurzerhand aus der OEF-Mission herausgelöst und dem nationalen Befehl
unterstellt.
Der Hintergrund: im deutschen OEF-Mandat ist die Piratenbekämpfung
nicht vor-gesehen – übrigens anders als in dem von den Amerikanern
ausgearbeitetem Operationsplan der Anti-Terror-Mission. Wegen des restriktiven
Mandats schaut die Deutsche Marine dem Treiben der Piraten bisher untätig
zu. Lediglich Nothilfe ist zu-lässig, so das Verteidigungsministerium
- allerdings nur mit Einschränkungen. Staats-sekretär Thomas
Kossendey:
O-Ton Kossendey
„Im Augenblick des Überfalls an sich gilt das allgemeine Notwehr-
oder Nothilferecht. Da könnten die Soldatinnen und Soldaten eingreifen.
Das ist nicht die Frage. Aber sobald der Überfall abgeschlossen
ist, die Piraten mit dem Schiff abziehen, die Be-satzung gefangen gesetzt
haben, ist eine Verfolgung durch deutsche Marine-Einheiten nicht mehr
möglich aus rechtlichen Gründen.“
Eine eigenwillige und rechtlich umstrittene Position. Denn auch nach
Abschluss des Überfalls befinden sich die Geiseln in der Hand von
Piraten und damit weiterhin in Lebensgefahr.
Als Haupthindernis für die Untätigkeit der Marine sind von
Verteidigungsminister Jung immer wieder die Bestimmungen des Grundgesetzes
genannt worden. Die Verfassung trennt nämlich die Aufgaben zwischen
Polizei und Streitkräften. Piratenbekämpfung ist danach eine
Aufgabe der Bundespolizei. Seit dem Scheitern des Luftsicherheitsgesetzes
vor dem Verfassungsgericht bemüht sich der Verteidigungsminister
zusammen mit Innenminister Schäuble um eine Änderung des Artikels
87a des Grundgesetzes. Dadurch soll die Bundeswehr notfalls auch im Innern
eingesetzt werden können – bei-spielsweise um Terrorangriffe aus
der Luft oder auf See zu vereiteln. Die Polizei ver-fügt hierfür
nämlich nicht über geeignete Mittel. Doch die SPD lehnt diese
von der CDU geforderte Grundgesetzänderung kategorisch ab. Der Koalitionspartner
be-fürchtet, dadurch werde generell die Tür für Bundeswehr-Einsätze
im Innern weit auf-gestoßen.
In den Unionsparteien hatte man lange die Hoffnung, die stark angestiegenen
Piraten-überfälle würden den Druck auf die Sozialdemokraten
erhöhen, und den Weg für eine Grundgesetzänderung doch
noch freimachen. Monatelang hieß es aus dem Ver-teidigungsministerium,
die deutsche Marine könne die Piraten am Horn von Afrika erst nach
einer verfassungsrechtlichen Klarstellung bekämpfen - dabei gab es
von Anfang an auch Rechtsexperten, die eine solche Mission ohne Grundgesetzänderung
für mög-lich halten. Nachdem die SPD jedoch nicht einlenkte,
und die Untätigkeit der deutschen Marine in dem Seegebiet vor Somalia
für die Öffentlichkeit nicht mehr nachvollzieh-bar war, lenkte
der Verteidigungsminister ein. Jetzt geht, was lange für nicht machbar
gehalten wurde. Im Rahmen einer EU-Mission ist eine Piratenbekämpfung
nun auf einmal möglich – ohne Verfassungsänderung. Verteidigungsminister
Jung:
O-Ton Jung
„In der Regel ist diese Aufgabe Piraterie-Bekämpfung Aufgabe der
Polizei. Und wir können nur im Bereich der gegenseitigen kollektiven
Sicherheit, das heißt, im Rahmen eines internationalen Mandats
wie jetzt hier bei der Europäischen Union über Artikel 24
Grundgesetz einen solchen Auftrag wahrnehmen. Aber der ist dann immer
sehr konkret bezogen auf ein bestimmtes Gebiet. Das heißt, Küste
Somalias..... Und deshalb halte ich es für richtig, dass wir a),
jetzt eine solche Mission für die Küste Somalias beschließen
und ich bleibe dabei, dass ich es auch für richtig erachte, dass
wir auch weiterhin uns bemühen gegebenenfalls hier eine verfassungsrechtliche
Klarstellung vorzunehmen, denn die Polizei ist eben nicht in diesen
Weltmeeren, sondern im Zweifel ist da die Bundeswehr.“
Anfang der Woche haben die EU-Außenminister die Weichen für
eine Mission zur Piratenbekämpfung gestellt - im Rahmen der Europäischen
Sicherheits- und Ver-teidigungspolitik ESVP. Ende des Jahres soll der
Einsatz beginnen. An dieser Operation will sich dann auch Deutschland
beteiligen. Doch Kritiker befürchten, dass die deutsche Marine bei
diesem Einsatz weiterhin passiv bleiben könnte. Weil es dem Verteidigungsministerium
wie bisher am politischen Willen mangele. Notwendig ist für den FDP-Verteidigungsexperten
Rainer Stinner aber, dass auch die Deutschen eine aktive Rolle bei der
Piratenbekämpfung übernehmen:
O-Ton Stinner
„Es gibt ja angeblich oder offensichtlich die drei vielfach fotografierten
Mutterschiffe für die Piraten. Die fahren ohne Flagge durch die
Gegend. Wenn ein solches Schiff dort gesichtet wird, dann würde
ich dieser internationalen ESVP-Mission gerne die Macht und die Kraft
zubilligen, dass sie dieses Schiff entsprechend anruft, dass sie dieses
Schiff entsprechend durchsucht, dass sie dieses Schiff entsprechend
auch aufbringt, wenn dieses Schiff sich weigert zu kooperieren. Das
ist ein aktiver Einsatz gegen Piraterie ... auch gegen eventuellen Widerstand.“
In diesem Zusammenhang sind aber noch viele Fragen zu klären. Wie
werden die Ein-satzregeln lauten? Was soll mit gefangen genommenen Piraten
geschehen? Sollen sie in Deutschland vor Gericht gestellt werden? Oder
sind sie den Behörden der somalischen Übergangsregierung zu
übergeben? Dürfen deutsche Marine-Einheiten, die in dem Seegebiet
für die Anti-Terror-Operation Enduring Freedom eingesetzt sind, sich
eben-falls an der EU-Mission beteiligen?
Fragen über Fragen, bis zu deren Klärung noch viel Zeit vergehen
wird. Der Bremer Reeder Niels Stolberg hat in der vergangenen Woche sein
Schiff mit Besatzung für etwas mehr als eine Million Dollar von Piraten
freigekauft. Stolberg hat ganz konkrete Vorstellungen, was zu tun ist:
O-Ton Stolberg
„Ich fordere ganz klar mehr Bewegung der Politik, dass man wirklich
versucht, Konvois einzuführen: Zwei Abfahrten pro Tag, eine um
sechs und die zweite um 18.00 Uhr für die Schiffe, die einfach
diesen Schutz brauchen. Das ist zwingend erforder-lich.... Ich möchte
nicht wissen, was sonst in den nächsten Wochen noch passieren kann.“
Die Piraten zeigen sich bisher wenig beeindruckt: Weder von der französischen
Kommando-Aktion noch von der angekündigten EU-Mission.
Andreas Flocken ist Redakteur für die Hörfunk-Sendung "Streitkräfte
und Strategien" bei NDRinfo.
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