Gastbeitrag
Streitkräfte und Strategien - NDR info
20. September 2008


Pirateriebekämpfung durch die Bundesmarine?

Andreas Flocken

Piratenüberfälle am Horn von Afrika gehören inzwischen schon fast zum Alltag. Die Schiffsbesatzungen werden als Geiseln genommen, um von den Reedereien Lösegeld zu erpressen. Es heißt, in der Region vor Somalia seien gegenwärtig mehr als 10 Schiffe mit über 100 Besatzungsmitgliedern in der Hand von Piraten.

Anfang der Woche sind zwei Geiseln durch ein französisches Kommando-Unternehmen befreit worden. Eine riskante Aktion. Ein Pirat wurde getötet, sechs wurden gefangen genommen. Und wenige Tage später hat eine dänische Marine-Einheit zwei Piraten-Schiffe gestürmt.

Deutschland hat die Aktion der Franzosen durch einen Orion-Seefernaufklärer unter-stützt. Das Marine-Flugzeug ist in Dschibuti stationiert – im Rahmen der von den USA geführten Anti-Terroroperation Enduring Freedom OEF. Um die für die Befreiungs-aktion benötigten Aufklärungsergebnisse den Franzosen übermitteln zu können, wurde das deutsche Flugzeug kurzerhand aus der OEF-Mission herausgelöst und dem nationalen Befehl unterstellt.

Der Hintergrund: im deutschen OEF-Mandat ist die Piratenbekämpfung nicht vor-gesehen – übrigens anders als in dem von den Amerikanern ausgearbeitetem Operationsplan der Anti-Terror-Mission. Wegen des restriktiven Mandats schaut die Deutsche Marine dem Treiben der Piraten bisher untätig zu. Lediglich Nothilfe ist zu-lässig, so das Verteidigungsministerium - allerdings nur mit Einschränkungen. Staats-sekretär Thomas Kossendey:

O-Ton Kossendey
„Im Augenblick des Überfalls an sich gilt das allgemeine Notwehr- oder Nothilferecht. Da könnten die Soldatinnen und Soldaten eingreifen. Das ist nicht die Frage. Aber sobald der Überfall abgeschlossen ist, die Piraten mit dem Schiff abziehen, die Be-satzung gefangen gesetzt haben, ist eine Verfolgung durch deutsche Marine-Einheiten nicht mehr möglich aus rechtlichen Gründen.“

Eine eigenwillige und rechtlich umstrittene Position. Denn auch nach Abschluss des Überfalls befinden sich die Geiseln in der Hand von Piraten und damit weiterhin in Lebensgefahr.

Als Haupthindernis für die Untätigkeit der Marine sind von Verteidigungsminister Jung immer wieder die Bestimmungen des Grundgesetzes genannt worden. Die Verfassung trennt nämlich die Aufgaben zwischen Polizei und Streitkräften. Piratenbekämpfung ist danach eine Aufgabe der Bundespolizei. Seit dem Scheitern des Luftsicherheitsgesetzes vor dem Verfassungsgericht bemüht sich der Verteidigungsminister zusammen mit Innenminister Schäuble um eine Änderung des Artikels 87a des Grundgesetzes. Dadurch soll die Bundeswehr notfalls auch im Innern eingesetzt werden können – bei-spielsweise um Terrorangriffe aus der Luft oder auf See zu vereiteln. Die Polizei ver-fügt hierfür nämlich nicht über geeignete Mittel. Doch die SPD lehnt diese von der CDU geforderte Grundgesetzänderung kategorisch ab. Der Koalitionspartner be-fürchtet, dadurch werde generell die Tür für Bundeswehr-Einsätze im Innern weit auf-gestoßen.

In den Unionsparteien hatte man lange die Hoffnung, die stark angestiegenen Piraten-überfälle würden den Druck auf die Sozialdemokraten erhöhen, und den Weg für eine Grundgesetzänderung doch noch freimachen. Monatelang hieß es aus dem Ver-teidigungsministerium, die deutsche Marine könne die Piraten am Horn von Afrika erst nach einer verfassungsrechtlichen Klarstellung bekämpfen - dabei gab es von Anfang an auch Rechtsexperten, die eine solche Mission ohne Grundgesetzänderung für mög-lich halten. Nachdem die SPD jedoch nicht einlenkte, und die Untätigkeit der deutschen Marine in dem Seegebiet vor Somalia für die Öffentlichkeit nicht mehr nachvollzieh-bar war, lenkte der Verteidigungsminister ein. Jetzt geht, was lange für nicht machbar gehalten wurde. Im Rahmen einer EU-Mission ist eine Piratenbekämpfung nun auf einmal möglich – ohne Verfassungsänderung. Verteidigungsminister Jung:

O-Ton Jung
„In der Regel ist diese Aufgabe Piraterie-Bekämpfung Aufgabe der Polizei. Und wir können nur im Bereich der gegenseitigen kollektiven Sicherheit, das heißt, im Rahmen eines internationalen Mandats wie jetzt hier bei der Europäischen Union über Artikel 24 Grundgesetz einen solchen Auftrag wahrnehmen. Aber der ist dann immer sehr konkret bezogen auf ein bestimmtes Gebiet. Das heißt, Küste Somalias..... Und deshalb halte ich es für richtig, dass wir a), jetzt eine solche Mission für die Küste Somalias beschließen und ich bleibe dabei, dass ich es auch für richtig erachte, dass wir auch weiterhin uns bemühen gegebenenfalls hier eine verfassungsrechtliche Klarstellung vorzunehmen, denn die Polizei ist eben nicht in diesen Weltmeeren, sondern im Zweifel ist da die Bundeswehr.“

Anfang der Woche haben die EU-Außenminister die Weichen für eine Mission zur Piratenbekämpfung gestellt - im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Ver-teidigungspolitik ESVP. Ende des Jahres soll der Einsatz beginnen. An dieser Operation will sich dann auch Deutschland beteiligen. Doch Kritiker befürchten, dass die deutsche Marine bei diesem Einsatz weiterhin passiv bleiben könnte. Weil es dem Verteidigungsministerium wie bisher am politischen Willen mangele. Notwendig ist für den FDP-Verteidigungsexperten Rainer Stinner aber, dass auch die Deutschen eine aktive Rolle bei der Piratenbekämpfung übernehmen:

O-Ton Stinner
„Es gibt ja angeblich oder offensichtlich die drei vielfach fotografierten Mutterschiffe für die Piraten. Die fahren ohne Flagge durch die Gegend. Wenn ein solches Schiff dort gesichtet wird, dann würde ich dieser internationalen ESVP-Mission gerne die Macht und die Kraft zubilligen, dass sie dieses Schiff entsprechend anruft, dass sie dieses Schiff entsprechend durchsucht, dass sie dieses Schiff entsprechend auch aufbringt, wenn dieses Schiff sich weigert zu kooperieren. Das ist ein aktiver Einsatz gegen Piraterie ... auch gegen eventuellen Widerstand.“

In diesem Zusammenhang sind aber noch viele Fragen zu klären. Wie werden die Ein-satzregeln lauten? Was soll mit gefangen genommenen Piraten geschehen? Sollen sie in Deutschland vor Gericht gestellt werden? Oder sind sie den Behörden der somalischen Übergangsregierung zu übergeben? Dürfen deutsche Marine-Einheiten, die in dem Seegebiet für die Anti-Terror-Operation Enduring Freedom eingesetzt sind, sich eben-falls an der EU-Mission beteiligen?

Fragen über Fragen, bis zu deren Klärung noch viel Zeit vergehen wird. Der Bremer Reeder Niels Stolberg hat in der vergangenen Woche sein Schiff mit Besatzung für etwas mehr als eine Million Dollar von Piraten freigekauft. Stolberg hat ganz konkrete Vorstellungen, was zu tun ist:

O-Ton Stolberg
„Ich fordere ganz klar mehr Bewegung der Politik, dass man wirklich versucht, Konvois einzuführen: Zwei Abfahrten pro Tag, eine um sechs und die zweite um 18.00 Uhr für die Schiffe, die einfach diesen Schutz brauchen. Das ist zwingend erforder-lich.... Ich möchte nicht wissen, was sonst in den nächsten Wochen noch passieren kann.“

Die Piraten zeigen sich bisher wenig beeindruckt: Weder von der französischen Kommando-Aktion noch von der angekündigten EU-Mission.


 

Andreas Flocken ist Redakteur für die Hörfunk-Sendung "Streitkräfte und Strategien" bei NDRinfo.