Nukleare Abrüstung ohne Chance?
Die Modernisierung der Atomwaffen und ihre Folgen
Dr. Oliver Meier
Zwar verkleinern die USA und Russland ihre Atomwaffenarsenale, aber beide Seiten
verfügen immer noch über jeweils mehr als 10.000 Sprengköpfe. Die Reduzierung der
Anzahl von Sprengköpfen ist eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung zur
Erfüllung von Abrüstungsverpflichtungen. Denn trotz quantitativer Abrüstung
modernisieren alle Kernwaffenbesitzer ihre Atomwaffenarsenale und investieren massiv in
ihre nukleare Infrastruktur.
Die USA marschieren voran. "Complex 2030" heißt das Projekt, mit dem
Washington den amerikanischen Atomwaffenkomplex verschlanken und zukunftsfähig machen
will. Das Programm sieht eine Konsolidierung der überdimensionierten nuklearen
Infrastruktur vor, inklusive des Aufbaus neuer Produktionskapazitäten für bis zu 125
neue Kernsprengköpfe jährlich. Der amerikanische Bundesrechungshof kalkuliert dafür
Gesamtkosten von mehr als 150 Milliarden Dollar.
Zudem will die amerikanische Regierung die Sprengköpfe ihrer Atomwaffen mittelfristig
gegen modernere Waffen austauschen. Bereits 2012 sollen die ersten neuen "Reliable
Replacement Warheads" vom Band laufen. Diese so genannten "zuverlässigen
Austauschsprengköpfe" traten in den Vordergrund, nachdem die US-Atomwaffenlobby im
Oktober 2005 mit ihren Vorschlägen zur Entwicklung von relativ kleinen Atomwaffen
so genannten Mini-Nukes und bunkerbrechenden Kernwaffen den Bunkerbustern
am Widerstand des US-Kongresses gescheitert war, weil Parlamentarier neue
Rüstungswettläufe fürchteten.
Die Atomwaffenlobby hat ihre Lektion gelernt und begründet die Entwicklung neuer
Atomwaffen nun nicht mehr mit dem Ziel verbesserter militärischer Fähigkeiten. Einige
US-Atomwaffen könnten möglicherweise durch Alterungsprozesse unsicher werden, so das
Argument, daher müsste ein neuer, robuster Sprengkopf her. Diese Behauptung verwundert,
denn bisher sind keine Sicherheitsprobleme mit US-Atomwaffen bekannt geworden.
Amerikanische Atomwaffenforscher fanden im Gegenteil jüngst heraus, dass die
Plutoniumsprengköpfe wesentlich langsamer altern als bisher angenommen und mindestens die
nächsten 85 Jahre sicher sind. Zudem geben die USA jährlich rund 6,5 Milliarden Dollar
für die Instandhaltung ihres Atomarsenals aus, weit mehr als zu Zeiten des Kalten
Krieges.
Die US-Regierung setzt daher auf ein weiteres Argument. Der amerikanische Vertreter auf
der Wiener Nichtverbreitungskonferenz argumentierte:
"Der Reliable Replacement Warhead unterstützt die von den Mitgliedern des
Atomwaffensperrvertrages vereinbarten Abrüstungsziele und beschleunigt deren
Umsetzung."
Die verblüffende Logik: Die USA könnten die Zahl ihrer in Reserve gehaltenen
Atomsprengköpfe reduzieren, wenn sie über eine so verlässliche Waffe verfügten. Zudem
sei der neue Sprengkopf so robust, dass seine Funktionsfähigkeit auch ohne Atomtests
sichergestellt sei.
So wird die Abrüstungslogik ad absurdum geführt. Der Teststopp-Vertrag von 1996
verbietet alle Atomtests und soll so die Entwicklung neuartiger Atomwaffen verhindern. Die
USA verknüpfen eine Fortführung des Testmoratoriums nun aber mit der Modernisierung des
Atomwaffenarsenals. Und quantitative Abrüstung wird von qualitativer Aufrüstung
abhängig.
Welchen militärischen Auftrag der neue Sprengkopf eigentlich erfüllen soll, ist auch
den Mitgliedern des Verteidigungsausschusses im US-Abgeordnetenhaus nicht klar. Sie haben
daher beschlossen, dass ein Teil der beantragten Entwicklungsmittel in Höhe von 120
Millionen Dollar für eine unabhängige Expertenkommission eingesetzt wird, die zunächst
untersucht, welche Rolle amerikanische Atomwaffen in Zukunft eigentlich spielen sollen.
"Erst gehen lernen, dann laufen", gab die demokratische Abgeordnete Ellen
Tauscher der Bush-Regierung als Rat mit auf den Weg.
Allerdings folgen auch andere Atomwaffenstaaten dem amerikanischen Beispiel und
modernisieren ihre Atomwaffen. Unter massivem Druck der Regierung und gegen den Widerstand
eines Viertels der Labour-Abgeordneten hat das Parlament in London im März grünes Licht
für die Entwicklung eines Nachfolgesystems für die vier britischen Trident-Atom-U-Boote
gegeben. Der Vertreter Großbritanniens auf der Wiener Konferenz betonte zwar, dass der
Parlamentsbeschluss sein Land keineswegs verpflichte, auch in 50 Jahren noch Atommacht zu
sein. Aber angesichts geschätzter Modernisierungskosten von bis zu 75 Milliarden Pfund
über die nächsten 30 Jahre dürfte es sich hier doch um eine längerfristige Festlegung
handeln.
Auch Frankreich modernisiert alle Komponenten seiner Atommacht. Bereits 2010 soll eine
neue Atomrakete auf französischen U-Booten stationiert werden, die mit 6.000 Kilometern
eine wesentlich größere Reichweite haben wird als das gegenwärtige Modell. Im Januar
letzten Jahres begründete Präsident Jacques Chirac während eines Besuchs der Flotte das
Programm. Die Force de Frappe diene nicht nur dem Schutz vitaler Interessen Frankreichs,
so der Präsident, sondern schrecke auch Schurkenstaaten ab. Chirac warnte:
"Staatschefs, die eventuell auf terroristische Mittel gegen uns zurückgreifen,
genau wie diejenigen, die es in Betracht ziehen, Massenvernichtungswaffen zu benutzen,
(müssen) verstehen, dass sie sich einer strengen und angemessenen Reaktion von unserer
Seite aussetzen. Diese Reaktion kann konventionell sein. Sie kann aber auch anderer Natur
sein."
Große Teile von Russlands nuklearer Infrastruktur sind seit dem Ende des
Ost-West-Konflikts zerfallen oder befinden sich in anderen Nachfolgestaaten der
Sowjetunion. Moskau modernisiert seine Nuklearwaffen daher nur langsam, tut dies aber
stetig. Von der neuen, hochpräzisen Topol-M Interkontinentalrakete werden jährlich
weniger als 10 in Dienst gestellt. Die Armeeführung plant aber, dass die Waffe das
Rückgrat des russischen Atomwaffenarsenals bilden soll. Dabei ist die Gefahr des
Wiederauflebens eines Rüstungswettlaufs zwischen Ost und West noch nicht gebannt, wie die
russische Reaktion auf die amerikanischen Raketenabwehrpläne zeigt.
Nukleare Modernisierung behindert diplomatische Abrüstungs- und
Nichtverbreitungsbemühungen. Der Teststopp-Vertrag kann seit elf Jahren nicht in Kraft
treten, weil sich einige Atomwaffenstaaten die Option offen halten wollen, modernisierte
Kernwaffen auch zu testen.
Insbesondere die USA sind nicht bereit, dauerhafte, niedrigere Obergrenzen ihres
Atomwaffenarsenals zu akzeptieren. In fünf Jahren laufen die Rüstungskontrollabkommen
zwischen Russland und den Vereinigten Staaten aus. Dann wären beide Seiten frei, wieder
aufzurüsten. Zwar haben die Russen Interesse an einem Folgeabkommen geäußert, aber die
USA winken ab.
So wächst bei vielen Mitgliedern des Atomwaffensperrvertrags der Eindruck, von den
Kernwaffenbesitzern getäuscht worden zu sein. Während sie dauerhaft auf Atomwaffen
verzichtet haben, verfeinern die Atomwaffenstaaten ihre Arsenale. Eine solche
Zweiklassengesellschaft kann auf Dauer nicht Bestand haben. Der damalige
UN-Generalsekretär Kofi Annan warnte auf der letzten Überprüfungskonferenz des
Atomwaffensperrvertrages im Mai 2005, dass Verträge nicht wegen der Vergehen einzelner
Staaten scheitern. Abkommen scheitern, so Annan, "wenn die Lücke zwischen
Versprechen und deren Umsetzung unüberbrückbar wird."
Dr Oliver Meier ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für
Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg und Berliner Repräsentant der Arms
Control Asssociation (www.armscontrol.org)
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