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junge Welt
03. Januar 1998 |
Deutschland bleibt einer der größten Rüstungsexporteure
Interview mit Otfried Nassauer
junge Welt: Nach dem Jahresbericht des internationalen
Instituts für Strategische Studien (IISS) ist 1996 der deutsche Anteil am internationalen
Waffenhandel auf 1,6 Prozent gefallen, hat insgesamt ein Volumen von nur noch 0,6 Mrd.
Dollar. SIPRI kommt dagegen auf 1,46 Mrd. Dollar, hier ist im Vergleich zum Vorjahr die
Zahl nur geringfügig zurückgegangen. Läßt sich aus diesen Zahlen vielleicht dennoch
eine gemeinsame Tendenz herauslesen?
O. Nassauer: Die renommierten Rüstungsexportstatistiken sind kaum
miteinander vergleichbar. Sie erfassen unterschiedliche Kategorien gelieferter Güter, und
bei der Preis- und Wertermittlung für Lieferungen neuer wie gebrauchter Waffen sind auch
die Ansätze sehr unterschiedlich.
Generell kann man sagen: Die Bundesrepublik hat in den vergangenen Jahren große Teile der
Waffenarsenale der ehemaligen NVA verschenkt oder zu Schleuderpreisen abgegeben. Das war
billiger als die Verschrottung und hat ihr einen Spitzenplatz unter den Exporteuren
beschert. Ab 1995/1996 laufen diese Lieferungen aus - Deutschland fällt scheinbar wieder
zurück.
junge Welt: Noch mal als Zuspitzung die Frage: Starker Rückgang der
deutschen Rüstungsexporte oder Stabilisierung des deutschen Anteils auf hohem Niveau?
O. Nassauer: Ein wachsender Teil der deutschen Exporte sind Zulieferungen
zu in internationaler Kooperation gefertigten Waffensystemen. Werden solche Waffen
exportiert, so tauchen sie in manchen Statistiken nur beim Exporteur der kompletten Waffe
auf, nicht aber bei den Lieferanten der Komponenten. Bei Computern wird das »Intel
inside« gerne und werbewirksam bekanntgemacht. Das »Daimler inside« bei
Militärfahrzeugen wird dagegen weder von Daimler-Benz noch von den meisten Statistiken
extra erwähnt.
Festhalten kann man trotzdem: Die Bundesrepublik gehört natürlich weiter zu den
größten Rüstungsexporteuren. Die Frage, ob auf Platz drei, vier, fünf oder sieben ist
dabei letztlich sekundär. Die Bundesrepublik ist ein exportorientierter Staat, das gilt
auch für den Bereich rüstungsrelevanter Güter und vor allem, wenn man die Dual-
Use-Güter und Komponenten mit berücksichtigt.
junge Welt: Die USA sind seit Jahren beim internationalen Waffenhandel
dominierend. Werden die EU-Länder und Rußland diese Dominanz in nächster Zeit
zurückdrängen?
O. Nassauer: Die dominierende Rolle der USA wird auch zukünftig erhalten
bleiben. Die EU kann den USA diese Rolle - zumindest im offenen Wettbewerb - kaum streitig
machen; höchstens unter Zuhilfenahme massiver staatlicher Subventionen. Außerdem
verfolgen die EU-Staaten rüstungspolitisch keine einheitliche Linie. Im Gegenteil: Sie
konkurrieren heftig untereinander, und hinsichtlich wichtiger Technologiebereiche haben
sie offensichtlich auch keine Strategie, längerfristig Wettbewerbsfähigkeit gegenüber
den USA anzustreben. Sie leisten sich z. B. einen technisch und preislich nicht
wettbewerbsfähigen Eurofighter 2000 und binden damit einen Großteil ihrer Ressourcen.
Die US- Industrie müßte eigentlich einen Dankesbrief schreiben: »Schön, daß Ihr
Europäer freiwillig für 20 oder 30 Jahre in der militärischen Luftfahrtindustrie auf
ernsthafte Konkurrenzfähigkeit verzichtet.«
Ein strategisch orientiertes Zusammengehen Europas mit Rußland zwecks Aufbrechens der
dominanten Position der USA ist zur Zeit ebenfalls nicht zu erkennen. Daran wird in
Rußland - eher spielerisch - leichter mal gedacht als in den EU-Staaten. Rußland wird
übrigens seine Exporte in den kommenden Jahren steigern - das Tief der Umbruchjahre ist
vorbei.
junge Welt: Seit Anfang vergangenen Jahres gibt es zwischen Israel und
der Türkei eine enge Zusammenarbeit im Rüstungsbereich. So ist z. B. bekanntgeworden,
daß beide Staaten gemeinsam die israelische Rakete Delilah bauen wollen und daß Israel
die türkische Luftwaffe modernisiert. Ist das eine regionale Besonderheit oder Beispiel
dafür, wie zukünftig einzelne Länder in Krisenregionen die Abhängigkeit vom
US-amerikanischen und europäischen »Waffen-Tropf« verringert werden?
O. Nassauer: Ja, beide gewinnen etwas mehr Eigenständigkeit und
Unabhängigkeit von ihren Hauptwaffenlieferanten Frankreich, Deutschland und den USA. Das
ist sicher gewollt. Die Lieferländer verlieren damit einen Teil ihrer
Einflußmöglichkeiten, z. B. die israelische Palästina-Politik oder die türkische
Kurden-Politik unter Druck zu setzen. Zugleich aber gilt: Beide, Israel und die Türkei,
haben sich gegenseitig etwas zu bieten, technologisch, militärisch und
sicherheitspolitisch. Durch die Zusammenarbeit stärken sie gegenseitig ihre jeweilige
Regionalmachtrolle. Und beide wissen, daß gegen diese Zusammenarbeit ihre westlichen
Partnerländer kaum laut protestieren können; im Gegenteil.
junge Welt: Dr. Hans-Joachim Gießmann vom Hamburger
Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik hat zu dem IISS-Jahresbericht
angemerkt, daß heute viel weniger komplette Waffensysteme, dafür umso mehr Dual-Use-
Güter verkauft würden. Hier sei die Bundesrepublik mit einem geschätzten Volumen von
über 30 Milliarden Mark pro Jahr führend.
O. Nassauer: Herr Gießmann hat recht und benennt einen von drei -
teilweise überlappenden - Aspekten, die verändernd auf die Struktur des Rüstungsmarktes
einwirken: Dual-Use-Güter. Komponentenzulieferungen stellen einen zweiten Bereich dar.
Diese sind teils ihrerseits wieder Dual-Use-Güter. Und drittens gewinnen Subsysteme zur
Modernisierung vorhandener Waffensysteme - Stichwort moderne Elektronik - ökonomisch auf
dem Weltrüstungsmarkt erheblich an Bedeutung. Israels Rüstungsindustrie hat diesen Markt
für sich erkannt und erfolgreich genutzt. Für die deutsche Rüstungsindustrie sind
Dual-Use-Güter-Exporte und Zulieferungen zu Rüstungsprodukten anderer Länder von
erheblicher Bedeutung. Eine eindeutige Statistik, derzufolge man sagen könnte,
Deutschland liegt auf Platz eins, drei oder fünf, gibt es aber auch hier nicht.
Interview: Thomas W. Klein
ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für
Transatlantische Sicherheit (BITS).
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