Frankfurter Rundschau
07. Juni 2015


Russland fehlt bei diesem Gipfel

Otfried Nassauer


Durch den Ausschluss von Russland entfällt der Anreiz, Gemeinsamkeiten in der Sicherheitspolitik zu suchen. Obwohl Krisen und Kriege die Entwicklung der Welt immer stärker prägen – die Außen- und Sicherheitspolitik spielt beim G7-Gipfel keine zentrale Rolle.

Der Blick auf die Tagesordnung des G7-Gipfels lässt stutzen. Obwohl Krisen und Kriege die Entwicklung der Welt immer stärker prägen – die Außen- und Sicherheitspolitik spielt dort keine zentrale Rolle. Falls niemand noch auf die perverse Idee kommt, dem G7-Gipfel durch verschärfte Kämpfe in der Ukraine noch rasch ein Zusatzthema zu diktieren, so wird es dabei auch bleiben. Russland fehlt bei diesem Gipfel und damit fehlt ein wesentlicher Anlass, sicherheitspolitischen Themen über die Ergebnisse des Außenministertreffens der G7-Staaten in Lübeck hinaus größeres Gewicht beizumessen.

Die G7-Staaten haben sich entschieden, das G8-Format nicht als kooperatives Instrument der Konfliktbearbeitung mit Russland einzusetzen, sondern zum G7-Format zurückzukehren, das sich als Instrument konfrontativer Vorwürfe besser eignet. Exklusion statt Inklusion.

Richtig ist allerdings auch: Die Außen- und Sicherheitspolitik stand noch nie über längere Zeit im Zentrum der Arbeit der G7-Gruppe. Auch nicht, als diese von 1998 bis 2013 als G8-Gruppe tagte. Weltwirtschaftsfragen waren der Anlass zur Gründung dieses exklusiven, informellen Zirkels westlicher Wirtschaftsnationen und sind bis heute dessen Kernthema geblieben. Fragen der globalen Entwicklung treten gelegentlich an deren Seite. So wie die Klima- und Energiepolitik. Aus real- oder machtpolitischer Perspektive mag das verwundern. Ordnungspolitik stützt sich traditionell auf wirtschaftliche und militärische Macht. Die weitgehende Abstinenz sicherheitspolitischer Fragestellungen irritiert also zurecht. Sie ergibt sich jedoch zum Teil aus dem Charakter des Forums. Die Formate G7 und G8 sind informeller Natur. Sie fassen keine rechtsverbindlichen Beschlüsse, sondern geben politische Willensbekundungen ab, an die sich die Beteiligten bestenfalls halten.

Als informelle Struktur der starken, marktwirtschaftlich orientierten Staaten sind die G7 ein Instrument, das auf wirtschaftlichem Gebiet ordnungspolitische Anstöße geben kann, zum Beispiel wenn es um die Beseitigung von Handelshemmnissen und Wettbewerbsverzerrungen oder um eine Deregulierung bestimmter Märkte geht. Meist werden dann zugleich im eigenen Interesse dem Recht des Stärkeren auf globalisierten Märkten mehr Anwendungsspielräume verschafft.

Informelle Strukturen starker Nationen sind dafür besonders geeignet – zumal, wenn sie sich als Wertegemeinschaft legitimieren, die selbst darüber entscheidet, wer dieser Gemeinschaft angehören darf und wer nicht.
Für sicherheitspolitische Problemstellungen ist ein solches Vorgehen erkennbar schlechter geeignet. Stabilitätsorientierte Sicherheitspolitik – so galt es zumindest weitgehend für die Zeit des Kalten Krieges – zielt auf Kooperationen, die in vielen Fällen einer multilateralen Verrechtlichung bedarf. Internationales Recht dient jedoch zugleich dazu, Schwächere vor einer Anwendung des Rechts der Stärke zu schützen.

Informelle und exklusive Strukturen sind nur bedingt geeignet, solche Prozesse anzustoßen. Meist ist ihnen kaum mehr möglich als die Bildung von Koalitionen der Willigen, die sich sicherheitspolitischer Fragestellungen und Zielsetzungen annehmen, um sich zu einem gemeinsamem Vorgehen zu verpflichten oder darauf zu einigen, in anderen institutionellen Kontexten eine Verrechtlichung anzustreben. Die G7- beziehungsweise G8-Staaten haben sich – vor allem in der Zeit der Mitgliedschaft Russlands – sicherheitspolitischen Fragen vor allem in dieser Form angenommen.

Als Beispiele können die G8-Initiativen zu verstärkten Bemühungen zur Bekämpfung des Terrorismus, der Organisierten Kriminalität oder der Weiterverbreitung von Massenvernichtungsmitteln dienen. Bei all diesen Fragen existierte eine ausreichende Interessensübereinstimmung und somit auch eine Möglichkeit, kooperativ vorzugehen. Mit dem Ausschluss Russlands ist der Anreiz, solche Felder ausreichender sicherheitspolitischer Interessensübereinstimmung zu suchen, weitgehend entfallen.

Ein Dauerzustand im Werden? Schon möglich. Kanzlerin Angela Merkel kann eine baldige Rückkehr Moskaus nicht sehen. Sie betonte den Charakter der G7 als Wertegemeinschaft und als Gemeinschaft von Staaten mit einer demokratischen Gesellschaftsordnung. Das schließt Moskau auf deutlich längere Sicht aus. Schon möglich, dass eine solche Entwicklung nicht im Interesse Deutschlands und Europas ist.


ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS