Deutschlandradio
14. Januar 2003




'Die Vereinigten Staaten sind auf einem gefährlichen Weg'

Elke Durak im Gespräch mit Ottfried Nassauer, Direktor des Informationszentrums für transatlantische Sicherheit in Berlin


Durak: Ist George Bush, der amerikanische Präsident, plötzlich allein zu Haus? Immer mehr rücken wichtige internationale Partner von einem Irak-Einsatz und damit von der engen Partnerschaft in dieser Sache von den USA ab. Selbst in Großbritannien wird nun deutlich mehr Gewicht einer zweiten Irakresolution der UNO zugewiesen, von einigen Politikern jedenfalls. Die französische Haltung war und ist unmissverständlich, wie sich Deutschland im Sicherheitsrat wirklich verhalten wird ist noch offen. Auch der Papst hat sich offensiv gegen einen Krieg geäußert. Gleichzeitig aber laufen die Kriegsvorbereitungen der USA auf Hochtouren. Bis Februar, so heißt es, sollen an die 150.000 US-Soldaten am Golf stationiert werden und die UNO-Inspektoren brauchen viel viel Zeit. Die Frage ist: werden sie sie bekommen? Am Telefon begrüße ich Ottfried Nassauer, er ist Direktor des Informationszentrums für transatlantische Sicherheit in Berlin. Guten Morgen.

Nassauer: Schönen guten Morgen, Frau Durak.

Durak: Hat der Präsident der USA den 'point of no return' bereits erreicht?

Nassauer: Einen 'point of no return' in der Frage eines Krieges solle es eigentlich nicht geben. Insofern ist es mir ein bisschen unlieb, die Frage so zu beantworten. Allerdings, was man sagen kann, mit den wachsenden Kosten des Aufmarsches wird es für Bush immer schwieriger, politisch wie finanziell, einen Krieg zu vermeiden, denn würde er dies tun, würde er auch ein Stück weit sein politisches Gesicht verlieren und darin liegt das eigentliche Risiko des massiven Aufmarsches, das ansonsten natürlich auch als die Druckkulisse zur Erzwingung der Kooperation des Iraks theoretisch interpretiert werden könnte, aber wohl doch nicht ist.

Durak: Also im Grunde kann er ja nicht mehr zurück, ohne sein Gesicht zu verlieren, politisch vor allem.

Nassauer: Das werden wir noch sehen. Es gibt durchaus Optionen. Denke Sie nur, an die Nachrichten über die Gespräche darüber, ob ein Rücktritt von Saddam Hussein einen Krieg vermeiden lassen könnte. Aber es wird immer schwieriger.

Durak: Glauben Sie daran, dass Hussein freiwillig zurücktritt?

Nassauer: Nein, er würde unter sehr viel Druck zurücktreten oder als von ihm selbst gewähltes Mittel der politischen Überraschung mit Nachfolgern, die er selber noch mitbestimmen würde.

Durak: Dann müsste Hussein sich dazu entschließen, sein Volk zu schützen, bisher war er anderer Meinung...

Nassauer: Genau deswegen ist diese Variante relativ unwahrscheinlich - dass er es freiwillig tut. Die Variante, dass er es unter Druck tut, ist aber trotzdem durchaus denkbar und zwar nicht zuletzt deswegen, weil dieser Druck natürlich auch sehr sehr enorm ist.

Durak: Stimmen auch aus Deutschland von deutschen Politikern sagen, dass sich die USA auf dem Weg in die Isolation bewegen. Würden Sie dem zustimmen?

Nassauer: Die Vereinigten Staaten sind auf einem ziemlich gefährlichen Weg aus ihrem, was sie Multilateralismus á la carte nennen und viele in Europa als Unilateralismus kritisieren. Eine Politik zu machen, die so eindeutig immer wieder dieses Muster wiederholt 'wenn ihr nicht mit uns seid, dann machen wir es eben alleine', läuft Gefahr dass sie tatsächlich von der einzigen zu der einsamen Supermacht werden könnten.

Durak: Welche Rolle spielt Europa in dieser ausbalancierten Situation gerade noch?

Nassauer: Europa ist auf der einen Seite weiterhin der wichtigste Partner der Vereinigten Staaten. Auf der anderen Seitehat Europa, das merkt man an dem Mangel an europäischen Initiativen, die schon länger im Vorfeld dieses Krieges oder auch der nordkoreanischen Proliferationsszenerie, nicht genügend eigene Initiativen erwiesen und aufgebaut, um wirklich als partnerschaftsfähig zu gelten. Das andere ist: Europa könnte das, aber wird da wohl noch einen ganz schönen Weg zurücklegen müssen, weil es eben keine wirklich gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik hat, sondern immer noch die von verschiedenen Nationalstaaten mit manchmal leicht, manchmal mehr als leicht divergierenden Interessen.

Durak: Großbritannien, Frankreich und Deutschland. Das sind sagen wir mal die drei wichtigsten europäischen Staaten in dieser Frage. Von Großbritannien wissen wir, dass es zwar nicht mit gespaltener Zunge spricht, aber es gibt Politiker, die wollen den Irak-Krieg und eine zweite Resolution und Tony Blair hat gestern noch mal gesagt: Wenn es Beweise gibt, dann muss zugeschlagen werden. Frankreichs Position ist bekannt: Ohne zweite Resolution läuft gar nichts und die Abstimmung zwischen Chirac und Schröder heute abend möglicherweise in dieser Frage scheint sich sehr sehr schwierig zu gestalten. Welche Rolle spielt in diesem Konzert Deutschland?

Nassauer: Die Bundesrepublik und Großbritannien haben manchmal beide die Angewohnheit, den Versuch zu machen, sich in Washington 'lieb Kind' zu machen, statt zunächst einmal zu fragen, was sie eigentlich selbst politisch für richtig halten. Daraus resultiert manchmal das Bild, das auf der einen Seite Tony Blair in den Ruf gebracht hat, das Schoßhündchen Bushs zu sein und auf der anderen Seite das Bild, dass bei uns in der Bundesrepublik Diskussionen entstehen wie jene, ob die UNO-Resolution 1441 nun wirklich schon alleine ausreicht, um militärische Gewalt zu rechtfertigen, wie das ja von Herrn Pleuger jetzt auch noch mal sehr deutlich gesagt worden ist. Ich denke in der Tat, die Abstimmung mit Herrn Chirac dürfte schwierig werden, da die Bundesrepublik wohl offensichtlich den Vereinigten Staaten politische Unterstützung zugesagt hat, zumindest aber ihnen zugesagt hat, dass sie nicht die Absicht hat, der amerikanischen Politik zu widersprechen.

Durak: Sehen Sie überhaupt noch eine Chance, den Irak friedlich zu entwaffnen neben dem mehr oder weniger freiwilligen Rückzug Saddams?

Nassauer: Ja, ich sehe einen, der über die UNO-Inspektionen geht und zwar schlicht und einfach: Diese Inspektionen könnten ein wirklich guter Beweis dafür sein, dass, wenn sie denn ernst genommen würden und auch die entsprechende politische und zeitliche Unterstützung bekämen, dass die Vereinten Nationen a) auf dem Wege nichtmilitärischer Mittel über Verifikation Massenvernichtungsprogramme endgültig beenden können und zweitens auch in dieser Art und Weise ihre Funktion, nämlich letztlich über Krieg und Frieden auf der Welt entscheiden zu sollen, dass diese Funktion den Vereinten Nationen wieder zurückgegeben würde. Ich sehe die Chance und ich denke, man sollte sie politisch nutzen.

Durak: Danke, Herr Nassauer. Das war Ottfried Nassauer, Direktor des Informationszentrums für transatlantische Sicherheit in Berlin.